Nachricht | Schicksal Treuhand – Treuhand-Schicksale

Bericht zur Eröffnung der Ausstellung der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Geschichte und Politik der Treuhand in Heidelberg

Am 13. Januar 2020 wurde in der Aula der Pädagogischen Hochschule Heidelberg die Wanderausstellung «Schicksal Treuhand – Treuhand Schicksale» der Rosa-Luxemburg-Stiftung eröffnet.

Nach der musikalischen Einleitung durch das PH-A-Cappella Ensemble, die «PolyPHonics», ergriff Stephanie Wiese-Heß das Wort. Die Kanzlerin der Hochschule begrüßte die zahlreich erschienenen Gäste und Redner, die sie  kurz vorstellte. Zudem zeigte sie sich erfreut, die Wanderausstellung erstmals an einem Standort der «alten Bundesrepublik» präsentieren und so ein Forum für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven der deutschen Wiedervereinigung bieten zu können.

In Vertretung der kurzfristig erkrankten Vorstandsvorsitzenden der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Dagmar Enkelmann, trat Alexander Schlager, Büroleiter des Regionalbüros Stuttgart und Geschäftsführer der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg, ans Mikrofon. Herr Schlager, der in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Bettina Degner, Professorin für Geschichte und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule, die Ausstellung an die Hochschule brachte, bedankte sich zunächst bei den beteiligten Institutionen sowie allen übrigen Beteiligten. Schlager erläuterte dann das Ausstellungskonzept. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung habe sich bewusst dafür entschieden, in der Ausstellung ostdeutsche Lebensgeschichten zu erzählen, die durch die Politik der Treuhand mitbestimmt wurden – nicht, weil dies die einzige und «richtige» Sicht auf die Geschichte (und die Gegenwart) sei, sondern weil es eine Sicht sei, die medial und in der Öffentlichkeit oftmals zu wenig vorkomme. Die Ausstellung verfolge das Ziel, die Schicksale der Menschen in den Vordergrund zu rücken und die oftmals existentiellen Konsequenzen spürbar und nachempfindbar zu machen, die ein «schockartiger» und zu wenig sozial abgefederter Transformationsprozess von der sozialistischen Planwirtschaft in die kapitalistische Marktwirtschaft für sie hatte. Das Thema sei auch für ein Publikum in den «alten Bundesländern» der Bundesrepublik von Interesse, denn für ein gegenseitiges Verständnis und für die Überwindung der nach wie vor bestehenden Spaltung zwischen Ost und West in Mentalitäten, politischer Kultur und ökonomischer Entwicklung sei es wichtig, sich mit diesem Kapitel deutscher Geschichte und ihren Konsequenzen für die betroffenen Menschen zu beschäftigen. Das Thema, so Alexander Schlager, sei nicht zuletzt deswegen hochaktuell, weil der zwingend erforderliche sozial-ökologische Wandel durch die Dekarbonisierung der Wirtschaft und die radikale Veränderung individueller und kollektiver Mobilität zu weitreichenden Veränderungen in der Produktion und in der Lebensweise der Menschen führen werde, die weitreichende soziale, ökonomische, politische und kulturelle Folgen haben werden. Hier seien die Erfahrungen der Menschen, deren Arbeiten und Leben durch die Politik der Treuhand-Anstalt weitreichende Veränderungen erfahren habe, ein wichtiger Erfahrungsschatz. Und hier könnten und müssten aus den Fehlern der Vergangenheit Schlussfolgerungen für die Zukunft gezogen werden. Ohne die Einbeziehung der Beschäftigten und ihrer Vertreter*innen in den Betrieben, und in den Gewerkschaften, ohne starke politische Regulierungen und ohne eine soziale Gestaltung, so Schlager abschließend, könne dieser erforderliche Umbau der Produktions- und Lebensweise nicht gelingen. Ein altes Konzept der politischen und gewerkschaftlichen Linken, die Demokratisierung der Wirtschaft, gewinne hier eine ganz neue Aktualität.

Im Anschluss sprach Prof. Dr. Bettina Degner, Professorin für Geschichte und ihre Didaktik an der PH Heidelberg, über die Ausstellung im Kontext der Lehrer*innebildung an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Professorin Degner berichtete, dass die Idee, die Ausstellung nach Heidelberg zu holen, aus dem Verschränkungsmodul «30 Jahre Wiedervereinigung in Geschichtskultur und Unterricht» zwischen der Pädagogischen Hochschule und der Universität Heidelberg entstanden sei. Die Bedeutung der Ausstellung für das deutsche Erinnerungsbild, so Degner, sei enorm, denn gerade in den «alten Bundesländern» seien die Folgen des Transformationsprozesses bisher bestenfalls unterbeleuchtet geblieben. Dies liege zum Teil auch daran, dass wenig bis kaum persönliche Berührungspunkte zur Wiedervereinigung bestünden. Die Professorin verdeutlichte dies am Beispiel der Studierenden aus den von ihr und Prof. Dr. Cord Arendes geleiteten Übungen. Lediglich die Eltern einer Studierenden seien ehemalige Bürger der DDR und diese seien eher den «Wendegewinnern» zuzurechnen. Weiterhin kam die Historikerin auf die lange mäßige Bearbeitung der Thematik durch die Geschichtswissenschaft zu sprechen. Die Werke von Marcus Böick «Die Treuhand: Idee – Praxis – Erfahrung 1990-1994» aus dem Jahr 2018 und von Ilko-Sascha Kowalcuk «Die Übernahme: Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde» aus dem Jahr 2019 seien  aber wichtige aktuelle historische Arbeiten zur Materie. Degner zeigte sich indes optimistisch, mittels gemeinsamer Aufarbeitung besonders die «westdeutsche» Wahrnehmung zu sensibilisieren.

Nach Frau Degner war es an Prof. Dr. Cord Arendes, Lehrstuhlinhaber für Angewandte Geschichtswissenschaft – Public History an der Universität Heidelberg, zum Publikum zu sprechen. Arendes ging zunächst auf die Chancen der «Public History» ein, beispielsweise mittels Zeitzeugeninterviews individuelle Erfahrungen für die Geschichtswissenschaft nutzbar zu machen. Zudem berichtete er von seinen persönlichen Berührungspunkten mit der Tätigkeit der Treuhand, die während seines Studiums an der Freien Universität Berlin täglich in Zeitungen und Protesten spürbar gewesen seien. Professor Arendes, der sich mit Marcus Böick während dessen Dissertationstätigkeit zur Treuhand austauschen konnte, verdeutlichte zudem die Notwendigkeit einer verstärkten Behandlung der Thematik durch die Historiographie.

Den Abschluss unter den Rednern machte der Historiker und Zeitzeuge Bernd Gehrke. Er umriss dem Publikum den größeren historischen Rahmen der «Wiedervereinigung» und verwies auf die unterschiedlichen Perspektiven in Ost und West. Dabei machte er anhand zahlreicher Beispiele deutlich, inwieweit die persönlichen Schicksale von ehemaligen DDR-Bürgern und ihre Proteste gegen den Privatisierungsprozess durch die Treuhand von Politik und Medien ignoriert wurden. Gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten von unten seien, so Gehrke, leider größtenteils ungenutzt geblieben und durch die Politik von der Frage der Wiedervereinigung überlagert worden. Die Politik der Treuhand verglich Gehrke mit einer «Schocktherapie» für die DDR-/ostdeutsche Wirtschaft. Die politische Verantwortung für die  Privatisierungs- und Deindustrialisierungspolitik trage die Bundesregierung Helmut Kohls. Schließlich sei die Treuhandanstalt eine der Bundesregierung unterstellte Einrichtung und ihre Leitlinie «Privatisierung vor Sanierung» von der Bundesregierung formuliert gewesen. Die Abwicklung der DDR-Wirtschaft sei der Auftakt des neoliberalen Umbaus ganz Deutschlands gewesen. Vor allem aber versuchte der Redner deutlich zu machen, dass die Ostdeutschen nicht einfach nur Opfer der Treuhandpolitik gewesen waren, sondern vor allem auch Kämpfende gegen die Privatisierungspolitik. Dass dieser Kampf durch die Deindustrialisierung verloren wurde, ändere nichts daran, dass die Jahre zwischen 1990 und 1994 die größte soziale Protestwelle auf dem Gebiet der ehemaligen DDR seit den 1920er Jahren gesehen hätten.

Den musikalischen Ausklang der interessanten und nachdenklich machenden Ausstellungseröffnung bereiteten die «PolyPHonics». Im Anschluss waren alle Anwesenden herzlich eingeladen, die 50 Tafeln der Ausstellung «Schicksal Treuhand – Treuhand-Schicksale» in Ruhe zu betrachten, das Glas zu erheben und miteinander über das Gehörte und das zu Sehende ins Gespräch zu kommen.

Die Veranstaltung wurde von einem Filmteam begleitet, das für die ARD eine Dokumentation erarbeitet zum Thema «Die Treuhand und der Westen». Diese wird voraussichtlich am 2. März abends in der ARD zu sehen sein.

Die Ausstellung kann noch bis zum 11.02.2020 am Standort Keplerstraße 87 der Pädagogischen Hochschule Heidelberg besichtigt werden (Öffnungszeiten: in der Vorlesungszeit 07:00-20:00 Uhr; samstags 09:00-17:00 Uhr; in der vorlesungsfreien Zeit: 07:00-18:00 Uhr).

Weitere Informationen zu der Ausstellung finden Sie unter
http://bw.rosalux.de/news/id/41327/schicksal-treuhand
https://www.rosalux.de/publikation/id/40866/schicksal-treuhand