Im Volkshaus: Gespräch mit Ernest Kaltenegger, ehemaliger KPÖ-Wohnbaustadtrat in Graz und «Vater» des politischen Aufstiegs der KPÖ in Graz
Gleich zu Beginn zeigte der ehemalige Grazer Wohnbaustadtrat und spätere Abgeordnete im Landtag der Steiermark Ernest Kaltenegger, eine über die Grenzen der Stadt hinaus prägende Figur der Grazer KPÖ und «Vater» ihres politischen Aufstiegs seit den 1990er Jahren, auf, worin das «Erfolgsrezept» der KPÖ in Graz begründet ist, das dieser einen Stimmenzuwachs von 4,2% bei der Gemeinderatswahl 1993 bis zu 29% im Jahr 2021 und das Amt der Bürgermeisterin brachte. Nicht «abstrakte Programmdiskussionen», sondern «im Alltag für die Menschen nützlich sein», seien Anspruch und Wirklichkeit der Politik der KPÖ in Graz gewesen. Konsequent habe man dort angesetzt, wo die größten sozialen Probleme der Menschen waren. Dies sei in Graz, einer Stadt mit 50.000 Studierenden, einem angespannten Wohnungsmarkt und einer unter den Änderungen des Mietrechts in den 1990er Jahren auf nationaler Ebene (u.a. Abschaffung von Mietobergrenzen) das Thema Wohnen gewesen, das nichts von seiner Dringlichkeit verloren habe, so dass es noch immer einen Schwerpunkt in der Politik der KPÖ im Gemeinderat und in der außerparlamentarischen Arbeit bilde. Auf zwei Ebenen habe man sich des Themas angenommen. Zunächst und v.a. habe man Strukturen aufgebaut, um die Menschen konkret zu unterstützen und ihnen in Notlagen zu helfen. Mit einem «Mieternotruf» habe man Rechtsberatung in Mietfragen angeboten und Mieter:innen über ihre Rechte aufgeklärt. Mit einem «Rechtshilfefonds für Spekulantenopfer» habe man diesen finanzielle Unterstützung geben, damit sie ihre Rechte vor Gericht einklagen können. «Der Rechtshilfefonds musste nie bezahlen», denn man habe alle Prozesse zugunsten der Mieter:innen gewonnen, so Kaltenegger weiter. Man sei auch nie davor zurückgeschreckt, Spekulanten und Mietwucherer mit Namen und Adresse zu nennen. Hiergegen sei es nie zu erfolgreichen Klagen gekommen, da man alle Vorwürfe habe belegen können. Neben der alltäglichen Beratung und Unterstützung habe man auf politischer Ebene Druck für Vorschläge gemacht, um die Situation von Mieter:innen zu verbessern. So wurde 1996 ein Antrag in den Gemeinderat eingebracht, wonach in durch Genossenschaften errichteten und verwalteten Wohnungen, für die die Stadt Belegungsrechte hat (sog. «Übertragungswohnbauten»; daneben gibt es noch Wohnungen im Besitz der Stadt), eine individuelle Belastungsobergrenze von einem Drittel des Einkommens gelten solle, wobei alle Haushaltsmitglieder bei der Feststellung dieser Belastungsobergrenze zu berücksichtigen seien. Nach der Ablehnung dieses Antrags durch den Gemeinderat habe man für eine Volksinitiative für diesen Antrag 20.000 Unterschriften sammeln können. In der Folge dieser starken Mobilisierung habe der Gemeinderat vor den Wahlen 1998 dem Antrag dann beim zweiten Einbringen einstimmig zugestimmt. Ein weiterer Erfolg im Zusammenspiel von Gemeinderatspolitik und städtischer Mobilisierung sei 1998 beim Thema Wohnungssanierungen gelungen. 40% der 4.200 städtischen Wohnungen seien zu diesem Zeitpunkt Substandardwohnungen gewesen. Der Antrag der KPÖ, diese Wohnungen zu sanieren (u.a. in jede Wohnung Toiletten und Bäder einzubauen), sei vom Gemeinderat abgelehnt worden. Als 1999 Graz zur europäischen Kulturhauptstadt gekürt worden sei, habe man hier angesetzt und unter der Losung «Auch ein eigenes Bad ist Kultur» damit gedroht, eine Volksbefragung zu initiieren, die diesen Status der Kulturhauptstadt ablehnt. Nicht weil man gegen das Projekt der Kulturhauptstadt gewesen sei, sondern um Druck für die Sanierung der Wohnungen zu machen. Und tatsächlich habe man für die Volksbefragung nicht mobilisieren müssen, da die Gelder zur Sanierung dann bereitgestellt worden seien. Die Kulturhauptstadt habe dann auch bleibenden Eindruck in Graz hinterlassen, denn in allen neue eingebauten Bädern seien Fließen mit dem Logo der Kulturhauptstadt eingebaut worden. Dass die KPÖ ihr Ergebnis bei den Gemeinderatswahlen von 7,9% 1998 auf 20,8% 2003 habe verbessern und auch in eher «bürgerlichen Stadtvierteln» starke Ergebnisse erzielt habe, sei zu nicht geringen Teilen diesem Einsatz zu verdanken gewesen.Wie ist der Erfolg der KPÖ in Graz zu erklären? Wie macht die KPÖ in Graz Politik? Diese die Bildungsreise leitenden Fragestellungen zusammenfassend zu beantworten, ließ sich aus dem Gespräch mit Ernest Kaltenegger lernen: Sich um die Problem der Menschen kümmern, glaubwürdig sein, einen langen Atem haben, Politik in den Institutionen und Gremien mit außerparlamentarischer Mobilisierung verbinden, «die Menschen ernst nehmen, ihnen nicht abgehoben und überheblich begegnen». Mit diesen Maximen sei es gelungen, die KPÖ in der Stadt als stärkste politische Kraft zu verankern und den Einfluss der FPÖ zurück zu drängen. Und zur Glaubwürdigkeit und praktischen Umsetzung der eigenen Forderungen gehöre auch, dass alle Mandats- und Amtsträger:innen der KPÖ ihr Einkommen oberhalb eines Facharbeiterlohns in einen «Unterstützungsfonds» einzahlen, mit denen Menschen in Notlagen unbürokratisch geholfen werden und sämtliche Einnahmen und Ausgaben für die Öffentlichkeit im Rahmen eines «Tages der offenen Konten» transparent zu machen.
Im Rathaus: Gespräche mit Bürgermeisterin Elke Kahr und Vertreter:innen des KPÖ-Clubs
Wie die Politik der KPÖ konkret aussieht, konnte im Gespräch mit Elke Kahr, die Ernest Kaltenegger als Wohnbaustadträtin nachfolgte und seit 2021 Bürgermeisterin von Graz ist, vertieft werden. Besonders eindrücklich war auch hier wieder neben den inhaltlichen Aspekten die Art und Weise, wie Politik gemacht wird. Symbolisch zum Ausdruck kam dies etwa in der Um- und Ausgestaltung des Büros der Bürgermeisterin weg von «gravitätischer Repräsentation» hin zu einer offenen, «grünen», kinderfreundlichen und bürgernahen Einrichtung. Dass das Büro tatsächlich offen für die Anliegen und Sorgen der Menschen ist, die Bürgermeisterin und ihre Mitarbeiter:innen ihre Aufgabe nicht zuletzt darin sehen, Menschen konkret zu helfen, machte der Umstand deutlich, dass jährlich mehrere tausende Beratungsgespräche im Büro der Bürgermeisterin stattfinden, die sich persönlich um viele Angelegenheiten kümmert und aus persönlichen Mitteln Menschen in Notsituationen hilft, wenn eine Hilfe durch Stellen der Stadt nicht möglich ist, um Menschen etwa vor dem Verlust ihrer Wohnung bei Mietrückständen zu bewahren. In einer Gemeinderatssitzung konnten wir einen kleinen atmosphärischen Eindruck von der Stadtpolitik gewinnen. Verhandelt wurden dort vornehmlich Bebauungspläne, was für nicht-Grazer inhaltlich nicht ganz so spannend war. Umso interessanter war daher der Umgang der Stadträt:innen miteinander, den wir als sehr kollegial, angenehm und «locker» empfanden. Was die «großen Themen» der Stadtpolitik betrifft, so dreht sich die Diskussion momentan v.a. um die Frage, ob nach dem Aufstieg des Grazer AK in die Erste Liga ein zweites Fußballstadion gebaut werden soll. Die KPÖ ist hier nicht prinzipiell dagegen, ist jedoch wegen der zu erwartenden Kosten skeptisch und setzt andere Prioritäten. Die finanzielle Hauptverantwortung für ein derartiges Großprojekt könne nicht der Stadt zukommen. Im Rahmen des finanziell Möglichen werde die Koalition aber versuchen, einen Beitrag zu leisten (vgl. KPÖ Graz: Grazer Stadionfrage: Rück- und Ausblick).Nach dem Besuch des Büros der Bürgermeisterin und des Ratssaals konnten wir in den Räumlichkeiten des KPÖ-Clubs noch mit Christine Braunsreuther, der Club-Vorsitzenden sowie mit Mitarbeiter:innen sprechen. Auch der KPÖ-Gesundheits- und Integrationsstadtrat Robert Krotzer nahm sich zwischen zwei Terminen Zeit, um mit uns zu sprechen. Zur Sprache kamen die politischen Schwerpunkte Wohnen, Verkehrspolitik und Gesundheit. Zielkonflikte zwischen Wohnungsbau und Flächenversiegelung, dem Interesse von Gewerbetreibenden an Stellplätzen für die Kundschaft und der Notwendigkeit, den individuellen PKW-Verkehr in der Stadt zu reduzieren, die jedem kommunalpolitisch Aktiven in Deutschland wohlbekannt sind, kamen auch hier zur Sprache. Und es wurde deutlich, dass auch hier einerseits Kompromisse notwendig sind und andererseits Entscheidungen immer wieder zu Unzufriedenheit bei Beteiligten führen können. Und auch hier machten die Vertreter:innen der KPÖ wider deutlich, dass nicht so sehr hilft, wie das Sprechen mit den Menschen, das Anhören ihrer Standpunkte, den Versuch, den jeweiligen Interessen Rechnung zu tragen sowie nach gefallender Entscheidung das weitere geduldige Kommunizieren mit den Betroffenen.
Mit Robert Krotzer kamen wir ins Gespräch über einige Aspekte der städtischen Gesundheits- und Pflegepolitik. Mit dem Projekt «Pflegestützpunkt. Wie wir pflegen und pflegen wollen» fördere die Stadt den Erfahrungsaustausch und die Vernetzung für Personen, die im Pflegebereich arbeiten untereinander und mit den Angehörigen gepflegter Menschen, schaffe notwendige Diskursräume, um gemeinsam über die Zukunft der Pflege zu diskutieren und Lösungsansätze zu finden und gebe den Menschen in der Stadt einen besseren Zugang zu Informationen zum Thema Pflege. Dies geschehe in Form von Podiumsdiskussionen, Pflegestammtischen sowie einer regelmäßigen Sendung im Freien Radio «Helsinki». Ein aktuelles 2024 gestartetes Projekt soll pflegende Angehörige finanziell unterstützen und diese mit einer Anstellung vor Altersarmut schützen.
Ein Aspekt, der für die Reisegruppe etwas überraschend war, der jedenfalls von der üblichen politischen Praxis der Linken in Deutschland abweicht, ist der berichtete Umgang mit den Mandatsträger:innen der FPÖ im Gemeinderat. Bei aller scharfen politischen Gegnerschaft und dem Kampf gegen Ideologie und Politik der FPÖ, halte man es nicht für sinnvoll, im Gemeinderatsalltag diese zu schneiden, ihnen etwa nicht die Hand zu geben oder sie nicht zu grüßen und aus Prinzip jeden Antrag, auch wenn dieser sinnvoll sei, abzulehnen. Ebenfalls überrascht zeigten sich die Teilnehmer:innen, darüber, welch große personelle und finanzielle Ressourcen von Seiten des KPÖ-Clubs in die Produktion einer eigenen über die Stadtpolitik informierenden Zeitung, das «Grazer Stadtblatt» gesteckt werden, das in der Regel fünfmal im Jahr erscheint und allen Haushalten in Graz postalisch zugeschickt wird – auch hier wieder mit dem Ziel: über die eigene Politik zu informieren, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und deren Interessen gespiegelt zu bekommen.
Soziale Bewegungen und Freies Radio in Graz
Interessante Einblicke ins Grazer politische Leben über die Gespräche mit den Vertreter:innen der KPÖ hinaus bot der Austausch mit Radiomacher:innen des Freien Radios «Helsiniki» sowie Aktiven in den Sozialen Bewegungen und die Begegnung mit einem Mitarbeiter der Arbeiterkammer Graz. Über den Umgang mit der FPÖ im Alltag des Gemeinderats hatten wir bereits mit den KPÖ-Vertreter:innen gesprochen. Hier wurde noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die «Normalisierung» der FPÖ bereits viel weiter fortgeschritten ist als die «Normalisierung» der AFD in der Bundesrepublik (man denke nur daran, dass der linke Sozialdemokrat Bruno Kreisky 1970 eine Minderheitsregierung unter Duldung der FPÖ bildete) und die FPÖ zum österreichischen Alltag als eine «Stimme neben anderen» beinahe wie selbstverständlich dazugehört. Gleichwohl sei antifaschistische Mobilisierung auf der Straße ein wichtiges Feld der Politik Sozialer Bewegungen und es gelinge, etwa gegen den Akademikerball Graz tausende Menschen auf die Straße zu bringen. Und es sei gelungen, das Agieren der sog. «Identitären Bewegung» zurückzudrängen. Das Büro der «Identitären Bewegung Österreich», das sich in einer Wohnung des FPÖ-Gemeinderats Heinrich Sickl befand, verlor im Juni 2019 ihr Mietverhältnis. Als Problem wurde sichtbar, dass sowohl die Sozialen Bewegungen als auch die KPÖ nach Bildung der Koalition aus SPÖ, GRÜNEN und KPÖ und dem Amtsantritt von Elke Kahr als Bürgermeisterin noch kein neues Verhältnis zueinander gefunden haben. Welche Forderungen will man aus den Sozialen Bewegungen heraus nun stellen, wo diejenigen, mit denen man zuvor in der Opposition, nicht konfliktfrei aber doch bei bestimmten Themen zusammengearbeitet hat, an der Regierung sind? Wie geht man aus der Stadtregierung heraus um mit Kritik aus den Sozialen Bewegungen an der eigenen Politik? Wie kann man die Handlungsmacht von Akteuren der Sozialen Bewegungen aus der Regierungsposition heraus stärken? Auch die letztlich erfolglosen Proteste gegen die Errichtung des Murkraftwerks, an denen auch die KPÖ beteiligt war, habe zu einer Schwächung der Sozialen Bewegungen beigetragen.Mit den Arbeiterkammern gibt es in Österreich seit 1920 eine Institution, die es in Deutschland mit Ausnahme von Saarland und Bremen (dort jedoch mit viel weniger Kompetenzen und Mitteln ausgestattet) nicht gibt und die einen wichtigen Einfluss auf die Arbeitsverhältnisse und Industriellen Beziehungen haben. Die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark ist die gesetzliche Interessenvertretung aller Beschäftigten des Bundeslandes, in der alle Angestellten und Beschäftigten Pflichtmitglied sind. Auf der anderen Seite gibt es eine Pflichtmitgliedschaft für alle Unternehmen in der Wirtschaftskammer. Da die Gewerkschaft Kollektivverträge mit der Wirtschaftskammer einer bestimmten Branche abschließt, besteht in Österreich eine sehr hohe Tarifbindung, die über 90% liegt. Während die Gewerkschaften zuständig sind für die Verhandlung der Tarifverträge, leisten die Arbeiterkammern wichtige Aufgaben in der Beratung von Betriebsrät:innen, der Erstellung von Studien, der Rechtsberatung von Arbeitnehmer:innen sowie im Konsumentenservice, etwa auch Beratung in Mietrechtsfragen. Daneben vertreten sie die Interessen der Beschäftigten gegenüber dem Staat und in der öffentlichen Diskussion und, dies war unserem Gesprächspartner, der in der Bibliothek der AK Graz arbeitet natürlich wichtig, leisten einen wichtigen Beitrag im Bereich der Kultur- und Bildungsarbeit mit unentgeltlichen Angeboten wie der Bibliothek und öffentlichen Veranstaltungen.
Stadt- und Landerkundungen: Auf den Spuren der Geschichte der Arbeiterbewegung, Stadtentwicklung & Graz von unten
Auf die Spuren der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung und des antifaschistischen Widerstands in der Stadt Graz und dem Bundesland Steiermark nahm uns der Historiker, Erwachsenbildner und Eisenbahner Leo Kühberger. Wichtige Wegmarken waren neben der Gründung der Ersten Republik, die Versuche, die damit verbundenen Versprechungen nach Sozialisierung in die Tat umzusetzen. So wurde etwa im April 1919 in Donawitz, einer Ortschaft bei Leoben in der Obersteiermark seitens der Arbeiter der Versuch unternommen wurde, die ÖsterreichischAlpine Montangesellschaft zu sozialisieren und gegen das Zögern der Wiener «Sozialisierungskommission» die «Sozialistische Republik Donawitz» ins Leben zu rufen. An diesen Ort des letztlich gescheiterten und mit politischer Repression vergoltenen Versuchs führte uns eine Fahrt mit dem Zug nach Leoben und Trofaiach und die anschließende Fahrt mit der Erzbergbahn auf den Erzberg, wo auch heute noch Eisenerz abgebaut wird, wenn auch nicht mehr von 4.000 wie vor 40 Jahren, sondern nur noch von 400 Beschäftigten. Hier erfuhren wir Einiges über die Steiermark als Industrieregion, fuhren an der kilometerlangen Produktionsanlage der voestalpine Stahl GmbH in Leoben-Donawitz, dem modernsten Stahlwerk Europas, das u.a. die Schienen für die französische Bahn baut und darüber, weshalb und welche historischen Wurzeln die heutige Stärke der KPÖ in Graz und in der Steiermark hat. Und wir lernten die beeindruckend Geschichte des Sepp Filz kennen, am 18. November 1906 in Donawitz geboren, von seiner Zeit in der Sozialistischen Arbeiterjugend zur Zeit der «Sozialistischen Republik Donawitz», seiner sozialistischen Agitation auf der «Walz» durch Europa bis nach Nordafrika, seiner Rückkehr nach Donawitz 1932, seinem Widerstand gegen Austrofaschisten und Nationalsozialisten, seinen Partisanenkämpfen in den Bergen der Obersteiermark, seinem Mitwirken beim Aufbau der Zweiten Österreichischen Republik und dem neuerlichen Kampf für Sozialisierungen und seiner neuerlichen politischen Verfolgung in Österreich im beginnenden Kalten Krieg, die ihn schließlich aus seiner geliebten steiermärkischen Heimat ins innerösterreichische «Exil» nach St. Pölten zwang. Den späten Versuch seiner Ehrung durch die Republik Österreich wies er denn auch zurück. Lieber ließ er sich von der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien ehren (zur bewegten und bewegenden Lebensgeschichte des Sepp Filz vgl. «Heimo Halbrainer: Sepp Filz. Walz, Widerstand, Wiederaufbau»).Eine weitere wichtige Figur der österreichischen Arbeiterbewegung begegnete uns auf unseren Erkundungen in Graz: Koloman Wallisch, der führend an den Februarkämpfen 1934 in Graz und Bruck an der Mur gegen den österreichischen Austrofaschismus beteiligt war. Ihm, der am 18. Februar 1934 in Ardning (Bezirk Liezen) verhaftet und am folgenden Tag in Leoben vor ein Standgericht gestellt und zum Tode verurteilt wurde, widmete Bertolt Brecht die Zeilen der unvollendet gebliebenen «Koloman Wallisch Kantate»: «Im Februar vierunddreißig / Der Menschlichkeit zum Hohn / Hängten sie den Kämpfer / Gegen Hunger und Fron / Koloman Wallisch / Zimmermannssohn». Dass in der Stadt Graz nur schwer ein würdiges Gedenken an die Februarkämpfe und die Zeit des Austrofaschismus gefunden wird, wurde deutlich anhand des 1984 am Hauptbahnhof errichteten Denkmals mit dem uneindeutigen und Schuld eher verschleiernden als benennenden Spruch «1934 – 1984: Wir haben gelernt, miteinander zu leben».
Noch größere Schrecken gingen mit dem den Austrofaschismus ablösenden Hitler-Faschismus einher. Eine Stele am ehemaligen Lager für ausländische Zwangsarbeiter im Stadtteil Liebenau, mit bis zu 5.000 untergebrachten Personen das größte Zwangsarbeiterlager in Graz, mahnte hieran. Bauliche Spuren des Lagers sind heute keine mehr zu sehen. Eine neue Siedlung entstand auf den Fundamenten des ehemaligen Lagers, das Wissen über das Lager Liebenau und die NS-Verbrechen verschwanden - bewusst oder unbewusst - aus dem kollektiven Gedächtnis. Im Zuge der Bauarbeiten zum Kraftwerk Graz-Puntigam (ab 2017) stieß man dann jedoch immer wieder auf Reste des Lagers, die archäologisch beforscht werden und es wurde 2020 zumindest die Erinnerungsstelle mit virtueller self guided-Tour errichtet.
Neben Spuren der Niederlage und des verlorenen Kampfes – so führte uns unsere Erkundung auch an die Ecke Sporgasse, Sackstraße und Herrengasse sowie den Murvorplatz, heute Südtiroler Platz, wo eigens herbeigerufene Einheiten der niederösterreichischen Gendarmerie sowie bewaffnete Studenten am sog. «Blutsamstag» des 22. Februar 1919 auf Menschen schossen und mehrere Menschen töteten, die gegen ein Versammlungsverbot der in der Volkswehr immer mehr an Einfluss gewinnenden KPÖ und Bestrebungen, nicht in der Steiermark heimatberechtigte Personen, die sich als Sympathisanten der kommunistischen Bewegung zu erkennen geben, aus dem Bundesland abzuschieben, zeigte uns unser Stadtspaziergang in Graz auch Spuren dessen, was man als Ausdruck der Stärke und des das Leben vieler strukturierenden Einflusses der österreichischen Arbeiterbewegung (in Gestalt der Sozialdemokratie) bezeichnen könnte: das 1929-1930 errichtete Gebäude der Arbeiterkammer, ob seiner Architektur auch als «rote Burg» bezeichnet sowie das angrenzende in den Jahren 1909-1912 errichtete Sozialdemokratisches Parteihaus mitsamt Verlagsgebäude für die Zeitung «Arbeiterwille» und Buchdruckerei des «Vorwärts», heute in der nach ihrem Redakteur und ehemaligen Gemeinde-, Landes- und Reichsrat Hans Resel benannte Gasse beheimatet sowie ein Denkmal für die Österreichischen Kinderfreunde, 1908 in Graz vom ebenfalls beim «Arbeiterwillen» tätigen Anton Afritsch gegründet, die sich als Teil der Arbeiterbewegung begreifend um die Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen kümmerte (Bildungsabende, Wanderungen, Ferienlager und –kolonien) und sich zum Ziel setzte «das geistige und leibliche Wohl der Kinder zu fördern».
Neben der Vergangenheit war auch die Gegenwart der Grazer Stadtentwicklung mitsamt ihren Prozessen der Gentrifizierung Gegenstand unserer Erkundung. Hier konnten wir etwa die Gemeindewohnungen Am Grünanger besichtigen, einem ehemaligen «Sozialen Brennpunkt» in Graz, als «Barackensiedlung» stigmatisiert. Die KPÖ setzte sich erfolgreich dafür ein, die Siedlung nicht abzureißen, sondern unter Bewahrung des dorfähnlichen Charakters der Siedlung, der einen Kontrast darstellt zur Verdichtung im Stadtgebiet, zu sanieren und 60 neue Gemeindewohnungen zu bauen. Bürgermeisterin Elke Kahr zur Einweihung: «Auf diese neuen Wohnungen bin ich sehr stolz, denn die Siedlung «Am Grünanger» ist ein besonderer Platz in unserer Stadt, der damit seinen Charakter bewahrt. Neue Gemeindewohnungen sind gerade angesichts der ungebremsten Teuerung am freien Wohnungsmarkt wichtiger denn je für eine soziale Wohnungspolitik». Bei der Begehung staunten wir über die Siedlungsstruktur dieser Gemeindebauten, die uns eher an die Doppelhaushälften wohlhabender deutscher Viertel erinnerten und diskutierten über alternatives Wohnen und Bauen jenseits «klassischer Kleinfamilienarchitektur».
Katharina Varadi-Dianat, KPÖ-Gemeinderätin in Trofaiach, die einen Biobauernhof betreibt, aktiv ist in der Arbeitsgemeinschaft Streuobst und sich engagiert für im «Schubhaftzentrum Vordernberg» inhaftierte Menschen. Sie hatte einiges zu berichten, über die schwierige ökonomische Situation von Kleinbäuer:innen und eine EU-Agrarpolitik, die Landwirtschaft nach Flächengröße subventioniert. Und auch sie machte deutlich, dass linke Politik sich den Menschen zuwenden und einen Weg finden muss, eigene politische Ziele mit deren Interessen in Übereinstimmung zu bringen, wenn diese etwa in einem großen Motorsportevent in der Gegend eine Chance sähen, sich durch Übernachtungen von Gästen etwas dazu zu verdienen. Eine weitere Herausforderung, den Teilnehmer:innen nur zu gut bekannt, bestehe darin, dass die politische Arbeit letztlich auf wenigen Schultern läge und mit einigen wenigen Personen identifiziert werde – was aber auch als Chance zu begreifen sei.