Nachricht | Westafrika Jugend und islamistische Radikalisierung im Senegal

Eine empirische Studie stellt Fragen und versucht erste Antworten

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Mehr als 100 interessierte Gäste aus Politik, Wissenschaft und Medien kamen am Montag, den 10. Oktober 2016, ins Pressehaus der senegalesischen Hauptstadt  Dakar. Präsentiert wurden die Ergebnisse der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Westafrika (www.rosalux.sn) unterstützten Studie des Timbuktu Institute – African Centre for Peace Studies (www.timbuktu-Institute.org) zur möglichen Radikalisierung junger Menschen in den Vorstädten Dakars.  

 Für die empirische Studie wurden 400 junge Menschen im Alter von 18 bis 35 Jahre im Juli 2016 in zehn Vorstädten Dakars befragt. 300 Befragungen wurden für die Studie ausgewertet. Ziel der Forschungsarbeit war es, im Kontext der islamistischen Anschläge in Afrika und Europa die Gefahr einer möglichen Radikalisierung junger Menschen im Senegal aufzuzeigen. Wichtigstes Ergebnis: nur 8,3 Prozent der Befragten sind bereit, sich für einen radikaleren und reineren Islam einer „Gruppe“ anzuschließen.

Um die Gefahr einer islamistischen Radikalisierung diagnostizieren zu können, wurden die jungen Menschen, die mehrheitlich in sehr prekären Verhältnissen leben, gefragt, wie sie Staat, Schule, islamische Geistliche und internationale Akteure „politisch“ wahrnehmen.

Viele der Befragten haben keine Arbeit (36 Prozent) oder schlagen sich mit Gelegenheitsarbeit (23 Prozent) oder als Haushaltshilfen (12 Prozent) durch. Eine große Zahl der Befragten hat keine Schule besucht (9 Prozent) oder ist nur in eine ohne staatliche Aufsicht geführte Koranschule (10 Prozent) oder eine private französisch-arabische Schule (19 Prozent) gegangen. Nur 15 Prozent der Befragten sind mit dem gegenwärtigen Schulsystem im Land zufrieden.

Für Bakary Sambe, Leiter des Timbuktu Institut, ist denn auch der Ausschluss eines erheblichen Teils junger Menschen in den Vorstädten Dakars aus der Gesellschaft das entscheidende Problem des Landes und eine mögliche Ursache für eine islamistische Radikalisierung junger Menschen.  

Dem Staat und seinen Vertreter_innen, aber auch den staatlichen Institutionen wie den Schulen, vertraut nur eine Minderheit der Befragten jungen Frauen und Männer. Wichtig sind neben den Eltern (51 Prozent), der Imam (19 Prozent) und der Marabout, ein geistlicher Führer (acht Prozent). Der gewählte Bürgermeister ist nur für ein Prozent der Befragten eine wichtige Ansprechperson.

Die über die politische Lage im Land und in der Region hauptsächlich durch das Fernsehen informierten Befragten sehen vor allem die Vereinten Nationen (31 Prozent) als Problemlöser der Krise im Sahel. Im Nachbarland Mali, wo im Jahr 2012 islamistische Terroristen große Teile des Landes besetzten, herrscht weiter hohe Unsicherheit. Dem eigenen Staat trauen elf Prozent der Befragten einen Beitrag zur Lösung des Problems zu. Nur vier Prozent setzen auf die Europäische Union, dem wichtigsten Geber von Entwicklungshilfe.

Die den Islam im Senegal dominierenden Sufi-Bruderschaften, dem über 90 Prozent der Befragten angehören, werden nur von einer Minderheit, nämlich etwa neun Prozent kritisch gesehen. Für sie repräsentieren die Sufi-Bruderschaften wie die Mouriden nicht den Islam.

Die Sufis werden häufig als Garanten der politischen Stabilität und der interreligiösen Toleranz angesehen. An einigen Marabouts gibt es aber auch große Kritik, da ihnen persönliche Bereicherung vorgeworfen wird.

Insgesamt sind die Ergebnisse dieser ersten Studie zu einer möglichen islamistischen Radikalisierung wenig verstörend, obwohl 54 Prozent der befragten ein Referendum für die Einführung der Scharia befürworten. Denn fast 82 Prozent wollen am laizistischen System, der formalen Trennung von Staat und Religion, im Senegal festhalten.

Nur zwei der Befragten zeigen sich wirklich bereit zur Gewalt. Das in der Befragung ermittelte Gewaltpotential ist also als eher gering einzuschätzen. Dennoch kann keine Entwarnung gegeben werden. Schließlich kämpfen bis zu 30 junge Senegalesen auf Seiten des sogenannten Islamischen Staates, unter anderem in Libyen.

Sorge sollte das geringe Vertrauen vieler Befragter in den Staat und in die Institution Schule den Verantwortlichen machen, denn hieraus kann eine Radikalisierung durchaus entstehen.

 Weiterführende Links zum Thema:

http://www.rfi.fr/emission/20161010-radicalisation-senegal-il-faut-reinvestir-education-prevention

http://www.rfi.fr/afrique/20161010-senegal-jeunes-islam-radical-une-enquete

http://aps.sn/actualites/article/l-angoisse-liee-au-chomage-facteur-de-radicalisation-des-jeunes

http://www.setal.net/FACTEURS-DE-RADICALISATION-CAUSES-DU-TERRORISME_a50387.html

http://dakarmidi.net/etude-pauvrete-chomage-etc-banlieue-se-radicalise-femmes-pretes-a-aller-faire-jihad/