Nachricht | Deutsche / Europäische Geschichte Die Novemberrevolution fand in Stuttgart zweimal statt…

Eine Stadtführung auf den Spuren der Novemberrevolution 1918 in Stuttgart

Auftakt zur Stadtführung «Die Novemberrevolution 1918 in Stuttgart» am Musikpavillon auf dem Schlossplatz

In Stuttgart fand die Revolution zweimal statt, wie Erhard Korn als Stadtführer erläuterte. In Berlin hatten die Revolutionären Obleute den 4.11. festgelegt, doch da ging es nur in Stuttgart los. Die Nachricht von der Verschiebung erreichte die Stuttgarter Linken nicht mehr rechtzeitig. In der Frühstückspause hielten die Vertrauensleute die Maschinen an und die damals radikalen Daimler-Arbeiter marschierten in die Innenstadt, vorbei an anderen Industriebetrieben. 30.000 Demonstranten versammelten sich schließlich auf dem Schlossplatz, wo der junge Arbeiter Fritz Rück von Musikpavillon aus die Forderungen des «Aktionsausschusses» verkündete: Waffenstillstand und sozialistische Republik. Am Nachmittag schickten die Demonstranten eine Delegation zur Regierung und wählten am Abend einen Arbeiterrat mit dem Spartakisten und USP-Mitglied Rück als Vorsitzendem.

Am 5.11. wurde bekannt, dass es in Deutschland keine Revolution gegeben hatte, und die württembergische Regierung ließ die Arbeiterräte verhaften. Damit löste sie aber erst recht eine Woge der Empörung aus. Nun musste auch die MSP für den Generalstreik stimmen. Bei einer Krisensitzung am 8.11. im Innenministerium, der zweiten Station des Rundgangs, gaben die Generäle zu, dass sie keine 10 Soldaten mehr hätten, die auf die Demonstranten schießen würden.

Am 9.11. wurde morgens im Wilhelmspalais eine neue, «parlamentarische» Regierung unter Beteiligung der MSP vom König vereidigt. Gleichzeitig hatte die MSP zusammen mit der USP und den Gewerkschaften zu einem Generalstreik und zu Demonstrationen aufgerufen. Den Zügen aus den Betrieben schlossen sich nun auch die Soldaten an. Auf der Neckarstraße wogten die Massen hin und her. «Nieder mit dem Krieg! Hoch die sozialistische Republik!» forderten die Plakate. Demonstranten hissten die rote Rahne schließlich sogar auf den Wilhelmspalais, wo sich noch die gerade vereidigte Regierung aufhielt – die Wache hatte sich klammheimlich verdrückt. Das einzige Blut, das an diesem Tag floss, war der Kratzer am Arm eines Offiziers, dem ein Arbeiter die verhasste Pickelhaube vom Kopf schlug.

100.000 Menschen hörten schließlich auf Schloss- und Karlsplatz den Reden zu. Vor dem Neuen Schloss, der dritten Station der Stadtführung, sprach Wilhelm Keil, der Führer der königstreuen Sozialdemokraten, der nun aber merkte, dass er die Massen «mit zahmen Redewendungen nicht in der Gewalt zu behalten vermochte». Er forderte das Ende der Klassenherrschaft und «nach einer kurzen Frist» die Errichtung einer sozialen Republik.

Am Abend trafen die Vertreter von MSPD, USP und Gewerkschaften im Ständehaus, dem damaligen Landtag, zusammen, der nächsten Station der Stadtführung. Sofort war klar, dass man nicht mehr Forderungen an die Regierung stellen, sondern selbst eine Provisorische Regierung bilden müsse. Ihr sollten zwei gleichberechtigte Vorsitzende vorstehen, Wilhelm Blos von der SPD und Arthur Crispien von der USP. Damit war Hugo Lindemann von der MSPD am gleichen Tag Minister in einer vom König vereidigten und in einer den König stürzenden Regierung…

König Wilhelm II. verließ am Nachmittag Stuttgart, begleitet von einem Fahrzeug des Soldatenrats mit roten Fahnen, war aber mit seinen Stuttgartern so beleidigt, dass er die Stadt nie mehr betrat.

Die provisorische Regierung stützte sich auf die Arbeiter- und Soldatenräte, deren Landesausschuss allerdings, im Gegensatz zum städtischen Arbeiterrat, von der MSPD dominiert wurde und den Aufbau einer bewaffneten Macht beschloss, mit deren Hilfe Wilhelm Blos, der sich im neuen Bahnhof verschanzt hatte, schon Anfang Januar seinen linken Mitpräsidenten Crispien und dessen Parteifreunde aus der Regierung warf.

Schon im April marschierten Angehörige der vom Landesausschuss selbst eingesetzten Sicherungskompagnien mit Hakenkreuzen an den Helmen nach München zur Niederschlagung der Räterepublik. Der 9. November 1938 hatte eine lange Vorgeschichte.