Unsere Freundin und Ratgeberin Sybille Stamm ist am 14.Dezember 2023 für uns alle völlig überraschend gestorben.
Noch vor wenigen Tagen saßen wir nach der Mitgliederversammlung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg zusammen und haben die aktuellen Probleme der Linken diskutiert. Bei der Mitgliederversammlung selbst gab sie uns Anregungen mit – vor allem erinnerte sie an die sich 2024 zum 40. Mal jährenden Kämpfe um die 35-Stunden-Woche. Die Kämpfe um eine erweiterte Zeitautonomie waren für die engagierte Gewerkschafterin stets zentraler Teil des Eintretens für bessere Arbeitsbedingungen, standen im Mittelpunkt ihrer strategischen Überlegungen. 2013 schrieb sie darüber:
«Im Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche 1984 war die Losung der Frauen: Wir wollen ‹mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen›. Und manchmal wurde ein ‹Lernen› hinzugefügt, denn auch dafür wollten die Frauen mehr Zeit. Das ging weit darüber hinaus, Arbeitslosigkeit mit Arbeitszeitverkürzung bekämpfen zu wollen. Mit der Frauen-Losung ertönte plötzlich eine ganz besondere Melodie im Streik, eine Melodie, die das ganze Leben in den Blick nahm.»
In der IG Metall begann die Politikwissenschaftlerin ihre gewerkschaftliche Tätigkeit als Tarifexpertin. Von 1980-1990 war sie Tarif- und Frauensekretärin in der Bezirksleitung Stuttgart der IG Metall, danach bis 1994 Leiterin der Tarifabteilung der IG Medien und Landesvorsitzende der IG Medien in Baden-Württemberg. Von 2001 bis zu ihrem (Un)Ruhestand 2007 stand sie an der Spitze des neugegründeten ver.di-Landesverbands, an dessen Entstehung sie als Landesvorsitzende der IG Medien (1994 bis 2001) maßgeblich beteiligt war.
Als Mitherausgeberin der Zeitschrift «Sozialismus» unterstützte sie die Entwicklung einer kämpferischen, aber in einer Klassenperspektive fundierten und marxistisch reflektierten Politik für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Nach über 30 Jahren in der SPD trat sie 2007 der neugegründeten Partei DIE LINKE bei und wirkte hier von 2008 bis 2013 als Landessprecherin für eine Politik nahe an den Interessen der einfachen Menschen. Als marxistische Feministin ermutigte sie Frauen, sich stärker politisch zu engagieren und beteiligte sich, zusammen mit Frigga Haug, an ihrer Stärkung und Qualifizierung – auch über die Zeitschrift «Das Argument». Dafür wirkte sie sowohl in der Rosa-Luxemburg-Stiftung, in deren Vorstand sie von 2013-2019 gewählt wurde, als auch in unserer Landesstiftung.
Wir bedauern jetzt besonders, dass die in Stuttgart für den März 2020 schon geplante Festveranstaltung zu ihrem 75. Geburtstag, die unter dem Titel «Linke – Gewerkschaft – Bildung – Feminismus: Sybille Stamm zum 75. Geburtstag» stattfinden sollte, coronabedingt abgesagt werden musste.
Unser Mitgefühl gilt ihrem Mann Jürgen Stamm, der uns als Vorstandsmitglied ebenfalls lange verbunden war. In Sybilles Sinn werden wir weiterwirken – Leben, Lieben, Lachen und, hoffentlich, Lernen.
Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg, Renate Angstmann-Koch & Philipp Frey (Vorsitzende)
Rosa-Luxemburg-Stiftung / Bereich Bundesweite Arbeit, Stefanie Ehmsen (Bereichsleiterin)
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