Ökologischer und demokratischer Sozialismus als Leitbild gegen Rechts: Die Theodor Bergmann Lectures 2024 der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg
Im Jahr 2016 konnte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg zu Ehren des 100. Geburtstages ihres Freundes und Ratgebers Theodor Bergmann im Stuttgarter Waldheim Clara Zetkin ein Kolloquium ausrichten, das sein politisches und wissenschaftliches Leben als Antifaschist, antistalinistischer Kommunist, Agrarwissenschaftler und Internationalist würdigte. Am 12. Juni 2017 ist Theodor Bergmann verstorben. Mit den jährlich stattfindenden Theodor Bergmann Lectures halten wir sein politisches Erbe lebendig, indem wir die zentralen Herausforderungen für heutige linke Politik diskutieren, die sein Denken vor dem Hintergrund seiner geschichtlichen Erfahrungen immer bestimmt haben.
Die siebten Theodor Bergmann Lectures am 10. März 2024 in Stuttgart gingen der Frage nach, wie die Linke mit dem Leitbild eines grünen Sozialismus ein «Hoffnungsszenario» (Dieter Klein) entwerfen und popularisieren kann, das in der Lage ist, soziale Bewegungen zu verknüpfen, Kämpfe zu orientieren und den spaltenden Erzählungen der Rechten ein inklusives und solidarisches Projekt entgegenzusetzen und damit deren Einfluss in der Gesellschaft zurückzudrängen. In den massenhaften Protesten gegen neurechte «Remigrations»-Pläne sah Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift «Sozialismus», ein Mut machendes Ereignis gesellschaftlicher Mobilisierung zur Verteidigung der Demokratie, das es zu verstetigen und mit weiteren linken Inhalten zu verbinden gelte. Um dauerhaft wirksam zu sein, müsse der Protest mit der Organisierung einer politischen Bildungsoffensive verbunden werden, die Menschen mit ihren Erfahrungen im Alltag und in den Betrieben anspricht. Dass linke Politik am Ziel des Sozialismus festhalten und die Klassenbasis des linken Projekts gerade angesichts der Realitäten einer «demobilisierten Klassengesellschaft» (Klaus Dörre) bewahren muss, diese Einschätzung teilte Richard Detje mit Dieter Klein.
Das langjährige Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung Dieter Klein stellte in seinem Beitrag Konturen eines modernen Sozialismus-Konzepts vor, die dort in den letzten Jahren entwickelt wurden. Moderne sozialistische Politik halte am Ziel einer sozialistischen Gesellschaftsordnung fest, stelle Kämpfe um soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt, beharre auf der Notwendigkeit, die kapitalistischen Eigentums- und die sich aus diesen ergebenden Herrschaftsverhältnisse umzuwälzen und betone das Kommunistische des sozialistischen Projekts. Gleichzeitig müssten diese Prinzipien dialektisch mit Widersprüchen vermittelt werden. Kollektiveigentum müsse die Einflussnahme des Einzelnen und sozialer Gruppen ermöglichen und auf individuelle Bedürfnisbefriedigung abzielen. Die Freiheit des Einzelnen sei die Bedingung der Freiheit aller und nicht umgekehrt, individuelle Menschenwürde konstitutives Element sozialistischer Vergesellschaftung, Frieden und eine intakte Umwelt Grundlage einer Gesellschaft, die allen gleiche Teilhabe an ihren materiellen Grundlagen und damit individuelle Selbstentfaltung ermögliche. Kulturvoll und solidarisch innerhalb von Widersprüchen, die aus der Struktur der Gesellschaft selbst resultierten, Politik zu machen, nach innen wie nach außen und nicht den eigenen Standpunkt als einzig richtigen zu verabsolutieren, müsse die Linke wieder und immer wieder neu lernen, wenn sie eine Zukunft haben wolle.
Die Vermittlung einer Politik der sozialen Gerechtigkeit mit einer Politik der ökologischen Nachhaltigkeit ist ein Anliegen, das der Jenaer Soziologe Klaus Dörre seit Jahren als Wissenschaftler und politisch eingreifender Intellektueller vorantreibt. Linke Politik auf der Höhe der Zeit müsse die «ökonomisch-ökologische Zangenkrise» des globalen Kapitalismus in ihrer Dringlichkeit ernst nehmen. Ein Kapitalismus, dem der Weg, durch Wachstum soziale Konflikte zu befrieden zunehmend verstellt werde, tendiere dazu, Zuflucht zu autoritären «Lösungen» zu nehmen und erkämpfte demokratische und soziale Errungenschaften anzugreifen. Auf der anderen Seite ergäben sich in dieser Krisenkonstellation Chancen für neue Klassenbündnisse zwischen gewerkschaftlich-betrieblichen, auf Auswege aus der Klimakrise orientierten und parteilinken Akteuren, deren Anliegen in eine gemeinsame neue linke Erzählung fließen müssten. Die Überschriften einer solchen verbindenden Erzählung könnten lauten: Stärkung des Öffentlichen, kollektive Verfügung über die zentralen Entscheidungen der Produktion sowie die Entwicklung einer gemeinwohl- und gebrauchswertorientierten Qualitätsproduktion langlebiger Güter.
Im abschließenden Teil der Theodor Bergmann Lectures wurden verschiedene Einstiegsprojekte für die Wiedergewinnung sozialistischer Handlungsfähigkeit diskutiert. Ajla Salatovic, aktiv bei Fridays for Future Stuttgart und in der Kampagne #Wirfahrenzusammen, gab einen Einblick in die Praxis der Kampagne, in der ver.di und Aktivist:innen aus der Klimabewegung einen neuen Schulterschluss erproben und an dem arbeiten, was Klaus Dörre den «climate turn» der Arbeiterbewegung und den «labour turn» der Umweltbewegung nennt. Der Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg Philipp Frey, der sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit mit Theorie und Praxis von Arbeitszeitverkürzung beschäftigt, berichtete über positive Erfahrungen mit der Einführung einer 4 Tage-Woche – international und in Deutschland. Er plädierte dafür, die Forderung nach einer substantiellen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich zu einer zentralen Forderung der Linken für die nächsten Jahre zu machen. Hierbei handle es sich um eine mobilisierungsfähige Forderung im Hier und Jetzt mit gleichzeitig utopischem Überschuss. Mit ihr lasse sich an einem verallgemeinerungsfähigen, branchenübergreifenden Interesse ansetzen und so Klassenmacht aufbauen und zugleich könne damit an Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit angeknüpft werden. Und schließlich vermittelten Kämpfe um Arbeitszeitverkürzung das individuelle Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung über das eigene Leben mit einem kollektiv geteilten arbeitsmarkt- und verteilungspolitischen Gut der gesamten Arbeiterklasse. Axel Burkhardt, Wohnraumbeauftragter in Tübingen, stellte dar, welche Herausforderungen sich Kommunen stellen, wenn sie versuchen, einen Beitrag dazu zu leisten, dass das Wohnen für die Mehrzahl der Menschen wieder leistbar wird. Auch hier wurde deutlich, dass das Freiheitsgut Wohnen nur dann im Interesse der Menschen für alle bezahlbar bereitgestellt werden kann, wenn Marktmechanismen zurückgedrängt werden und die Interessen der Nutzenden des Guts dominieren. Eine neue Wohngemeinnützigkeit, kommunale Mietobergrenzensatzungen und harte Vorkaufsrechte für Kommunen mit preislichen Obergrenzen seien Forderungen, um die herum linke Kämpfe organisiert werden könnten.
Einleitung von Erhard Korn, Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg zu den Theodor Bergmann Lectures 2024
Theodor Bergmann, dem diese Tagung gewidmet ist, musste an seinem 17. Geburtstag am 7.3.1933 aus Deutschland fliehen – wie tausende andere Linke. Dem Rechtstrend, den er mit Sorge beobachtet hat, zu widerstehen bleibt uns Verpflichtung.
Können die ermutigenden Kundgebungen «Die rechte Welle brechen», wie die große Stuttgarter Demo am 24.2. forderte? Oder wird die nationale Welle im Herbst auf Länderebene die Brandmauern überspülen?
Im Stuttgarter «Kontext» schrieb Chris Grodotzky, außerparlamentarischer Aktivist in der Klimabewegung, angesichts der ermutigenden Demos gegen Rechts, dass sie die Faschisierung bestenfalls verlangsamen könnten – «solange es kein dezidiert linkes Gegenprojekt gibt» (27.1.24). Erster Schritt für den Aufbau einer Gegenmacht zur Rechtsentwicklung sei es, «die einzige Partei zu retten, die den Abgehängten und Enttäuschten ein Angebot zu machen hat». So begründet er seinen Eintritt in die Linkspartei.
Von einer «bleiernen Zeit für die Linke» sprach dagegen gerade Karsten Krampitz im «Freitag» (29.2.24), machte aber der totgesagten Partei auch Hoffnung – die Sozialisten hätten schon viele Krisen und Spaltungen überwunden, «weil sie eine Utopie hatten», die den Menschen Hoffnung gab.
Auf dem Tiefpunkt seines persönlichen und politischen Lebens, auf der Flucht vor den siegreichen Nazis, kurz nach den zunächst trotzig verteidigten Moskauer Prozessen, isoliert in Amerika, als gescheiterter Tellerwäscher und Almosenbettler ohne Sprache und Einkommen, begann Ernst Bloch 1938 sein Hauptwerk zu schreiben. «Träume vom besseren Leben» wollte er es ursprünglich nennen.
«Das Prinzip Hoffnung» war ihm, wie unserem am 7.3.1916 geborenen und vor 7 Jahren verstorbenen Theo Bergmann, auch ein «Prinzip trotz alledem».
Bloch betont die großen emotionalen Antriebe, die in der Utopie als Bewahrerin des Fernziels stecken, er betont aber auch, dass Utopie ein bloßer «Schmarrn» bleibt, wenn sie nicht vermittelt wird durch Nahziele, durch Arbeit «in des Teufels Wirtshaus», also sozialistische Alltagsarbeit im Kapitalismus, eine Arbeit, die wiederum die Fernziele brauche wie die Sprossen die Leiter.
Prof. Dr. Dieter Klein, den ich hier als ersten nennen möchte, ist solchem Denken sehr nah. Er rät «auf konkrete Utopien und aktivierende Hoffnung gerichtete Denken Ernst Blochs bewusster anzueignen, um mit einer großen geistigen und organisierenden Anstrengung aus der Defensive der Linken herauszutreten und für eine von Hoffnung getragene Gesellschaft in die Offensive zu gehen». Er hat sich als Ökonom schon in der DDR im Projekt «Moderne Sozialismustheorie» für alternative Wege einer Demokratisierung des Sozialismus eingesetzt und war Akteur in der Wendezeit, die ja auch eine Zeit der Utopien war. Nicht DDR-Nostalgie, sondern sehr kritische Auseinandersetzung mit den Erfahrungen des Staatssozialismus als Voraussetzung für einen Neubeginn, der ja auch eine neue politische Kultur voraussetzt, die Freiheit der Diskussion, von der schon Rosa Luxemburg sprach. Noch immer lesenswert sein Buch «Das Morgen tanzt im Heute. Transformation im Kapitalismus und über ihn hinaus». Zuletzt erschien «Regulation in einer solidarischen Gesellschaft. Wie eine sozial-ökologische Transformation funktionieren könnte.» Schwer vorstellbar, dass ökologische Wende ohne solche demokratische Regulationen zu bewerkstelligen wäre. Übrigens auf den Seiten der RLS frei lesbar. Wie kann eine erneuerte Linke mit dem Widerspruch umgehen, dass zwar einerseits die Gesellschaft als ungerecht empfunden wird, andererseits aber fast schon als unveränderbar? Wie können jene notwendigen Projekte des sozialökonomischen Umbaus und der solidarischen Erneuerung als machbare Projekte konkretisiert und mit einem linken Neubeginn verbunden werden?
Beginnen wird den Tag Richard Detje, Sozialwissenschaftler, Redakteur und Vorstandsmitglied der RLS, Co-Autor etwa von «Solidarität in den Krisen der Arbeitswelt: Aktualität kollektiver Widerstandserfahrungen», analysiert seit langem die sozialen und betrieblichen Ursachen jener schillernden weltweiten Rechtsentwicklung, für die wir noch keinen Namen haben, die aber im Herbst die Bundesrepublik in eine tiefe Krise der politischen Repräsentanz stützen könnte. Schon jetzt ist sie ins klassische Terrain der Gewerkschaften und Linken eingebrochen. Nationalismus verspricht angesichts der multiplen Krisen Zusammenhalt und eine scheinbare Sicherheit. Wie aber hängt die Stärke der Rechten mit der Schwäche der Linken zusammen? Und wie könnte der Wunsch nach einer Wiedergewinnung von Kontrolle in ein Demokratisierungskonzept überführt werden, das auch die Arbeitswelt umfasst?
Auch Klaus Dörre lenkt heute Nachmittag den Blick auf verletzte Gerechtigkeitsvorstellungen als «deep story» des völkischen Populismus und warnt vor Faschismus, falls gegen «die Warteschlangen am Berg der Gerechtigkeit“ nicht beseitigt werden. Dass auch die dringend notwendige ökologische Wende in ihrer neoliberalen Form diese Gerechtigkeitsvorstellungen verletzt, trägt zur Stärkung der Rechten bei. «Wie kann es gelingen, den Sozialismus nunmehr als ökologischen oder besser: als demokratisch-nachhaltigen wieder zu beleben» fragt er (nach einer Strafpredigt gegen die Sektierertum und Selbstzerfleischung als Lieblingsbeschäftigung) in seinem Buch «Die Utopie des Sozialismus.»
Der von Dörre geforderten «Labour Turn» der Klimabewegung wird im Projekt «Wir fahren Zusammen» ansatzweise verwirklicht, über das Ajla Salatovic berichten wird. Drei solcher «Einstiegsprojekte» wollen wir am Schluss vorstellen. Sie gehen im Sinne Blochs Nahziele an mit Blick aber auf Zukünftiges, sind Arbeit «in des Teufels Wirtshaus». Kämpfe um Zeit mit Philipp Frey, auch in Erinnerung an Sybille Stamm, der sie, auch unter feministischer Perspektive wichtig waren, und «Kämpfe für leistbares und anderes Wohnen» mit Axel Burkhardt.
Es macht Mut, dass selbst im erzkapitalistischen Amerika Politiker wie Bernie Sanders Zustimmung bekommen für den Kampf gegen autoritäre Kräfte und für Gerechtigkeit, Anstand und menschliche Würde, den Sanders «demokratischen Sozialismus» nennt. «Sozialismus» diente Trump sogar als Kampfbegriff gegen die allgemeine Krankenversicherung. Sanders gebraucht diesen diffamierten Begriff bewusst, weil es ihm um die Verschiebung des Diskursrahmens zu tun ist. Darüber wollen auch wir heute reden.
Verzweiflung angesichts des Autoritarismus kann keine Option sein, betont Sanders. Das gilt auch für uns.
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