Nachricht | Alltag auf Kuba

Bericht zur Bildungsreise vom 5.-16. Februar 2024

Bildungsreise «Alltag auf Kuba», Februar 2024. Foto: Sahra Mirow

Alltag auf Kuba – Bildungsreise der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg vom 5.-16. Februar 2024 in Kooperation mit dem Instituto de Filosofía (Havanna)

Fast täglich hört man schlechte Nachrichten aus Kuba. Es gibt Stromausfälle und Lebensmittelknappheit, viele junge Kubaner und Kubanerinnen wandern aus. Dem kubanischen Staat fehlen Devisen. Doch er finanziert auch weiterhin ein beeindruckendes Gesundheitssystem und ein vorbildliches Bildungswesen. Driftet das Land in die Katastrophe? Was ist übrig vom Geist der Revolution? Solchen Fragen widmete sich die Bildungsreise «Alltag auf Kuba» der Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 4. bis zum 17. Februar unter der Leitung von Andreas Knobloch und Raul Zelik in Zusammenarbeit mit dem Instituto de Filosofía (Havanna).  27 Teilnehmende, vorwiegend aus Baden-Württemberg und Berlin, waren dabei. Hier der Reisebericht von Sahra Mirow, die die Reise für die Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg begleitet hat

Montag, 5. Februar

Um 9.30 Uhr begann unsere Bildungsreise im Versammlungsraum der Casa Vera. Es gab noch eine Reihe organisatorischer Fragen zu klären und nach einer kurzen Kennenlernrunde starteten wir mit dem Programm.

Felix Valdés García vom Instituto de Filosofía hielt einen Vortrag zur kubanischen Geschichte, Denkweise und Politik. Wir bekamen einen Überblick über die kubanische Geschichte, beginnend mit der spanischen Kolonialisierung ab 1511, die zu einem Genozid der indigenen Bevölkerung - insbesondere auch durch eingeschleppte Krankheiten - führte. Das koloniale Modell war vor Ort durch Mangel und Korruption geprägt und bedeutete eine verschärfte Ausbeutung, die die Gegenwart bis heute prägt. Schwarze Sklaven wurden nach Kuba verschleppt, um auf den Zuckerrohrplantagen und in den Goldminen zu arbeiten. Diese Plantagenökonomie, bei der mittels Kapital und Arbeiter:innen von außerhalb auf fremden Boden Güter für den internationalen Markt hergestellt wurden, war höchst lukrativ. So wurde in Kuba noch vor Spanien eine Eisenbahn gebaut und die technischen Anlagen, speziell die zur Zuckerherstellung nötige Infrastruktur, waren auf dem neuesten Stand.

Im Laufe des 19. Jh. kam es zu Aufständen und Befreiungskämpfen gegen die spanische Kolonialherrschaft. 1868 gingen die versklavten Arbeiter:innen in Kuba noch mit Macheten gegen ihre Unterdrücker vor, dennoch bildete sich zum ersten Mal eine kubanische Identität heraus. 1898 – sehr spät erst – wurde Kuba unabhängig, Haiti hingegen schon 1804.

Nun ersetzten die USA Spanien zunehmend als Kolonialmacht. Von diesem neokolonialen Verhältnis befreite sich Kuba schließlich 1959 in der Kubanischen Revolution, die gegen alle Erwartungen erfolgreich war und zu massiven Verbesserungen für die kubanischen Arbeiter:innen führte. Bäuer:innen bekamen das Land, das sie bewirtschafteten, die Mieten wurden abgesenkt und die großen Wirtschaftsbereiche verstaatlicht. Diese einschneidenden Reformen bescherten Kuba innerhalb kürzester Zeit die Feindschaft der USA und damit auch die unsägliche Wirtschaftsblockade, die erhebliche Auswirkungen auf die kubanische Wirtschaft und Wissenschaft hat. Inzwischen besteht die Blockade seit über 60 Jahren.

Nachmittags ging es auf einen Rundgang durch die Stadt. Dr. Félix Julio Rodríguez von der Universität Havanna führte uns durch die Altstadt und erläuterte uns die Geschichte der Stadt anhand ihrer baulichen Strukturen.

Dienstag, 6. Februar

Heute starteten wir in der Casa Vera mit einem Vortrag zum Prozess der Aktualisierung des Wirtschafts- und Sozialmodells der kubanischen Revolution. Mirell Pérez und Yaima Eodriguez Alomá von der Grupo American Latina Filosofia social y Axiologia, eine Arbeitsgruppe am Instituto Filosofia, die sich mit ethischen Werten in der Produktion beschäftigen, erläuterten uns die Vielfalt der Formen von Eigentum und Management. Wir bekamen einen Überblick über die verschiedenen Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung in Kuba. In der Phase 1959 bis 1990 wurde eine große Landreform durchgeführt. Als die Sowjetunion zusammenbrach, bedeutete dies auch tiefe Einschnitte für Kuba, die bis in die frühen 2000er anhielten.

Seit 2010 wird der Prozess der Aktualisierung der kubanischen Wirtschaft angegangen und so wurden schließlich durch die neue Gesetzesgrundlage von 2021 auch private Unternehmen zugelassen. Diese dürfen höchstens 100 Beschäftigte haben, im Gegensatz zu den Genossenschaften, die lediglich 10% der Genossenschafter:innen beschäftigen dürfen.

Nachmittags besuchten wir eine Wäscherei, die als Genossenschaft organisiert ist. Ursprünglich wollten die Genossenschafterinnen, es handelt sich ganz überwiegend um Frauen, auch Dienstkleidung herstellen, aber Stoffe sind in Kuba sehr schwer zu bekommen - diese werden überwiegend importiert - und so musste der Plan verworfen werden. Leider sind in Kuba viele Genossenschaften inzwischen verschwunden, einen Dachverband gibt es nicht. Kritisiert wurde, dass es keine Großhandelsstruktur für die Genossenschaften gibt, was den Einkauf erschwert. Nichtsdestotrotz stehen die Frauen hinter dem Genossenschaftsmodell und gestalteten ihre Wäscherei zu einem sozialen Ort aus, an dem neben der eigentlichen Dienstleistung auch Secondhandkleidung und andere Dinge ver- und gekauft werden können.

Mittwoch, 7. Februar

Heute fuhren wir in für den ersten Vortrag nach Havanna rein. Dr. José Matos Arévalo von der Fundación Fernando Ortiz hielt einen Vortrag zu kubanischer Kultur und ihren afrokubanischen Wurzeln.  Die Stiftung ist benannt nach Ortiz, ein bekannter Ethnologe, der stets die Pluralität Kubas betone. Tausende von schwarzen Menschen wurden nach Kuba verschleppt und versklavt. Sie kamen aus verschiedenen Ethnien und wurden untereinander gemischt, damit sie sich nicht verständigen konnten. Das erklärt, warum Spanisch auch heute noch die alleinige lingua franca ist. Bei Festen und Riten werden Teile afrikanischer Kulturkreise vermengt, die mit ihren Ursprüngen mitunter nur noch wenig gemein haben. So tanzen zum Beispiel in Afrika die Göttinnen und Götter getrennt, in Kuba tanzen sie alle gemeinsam.

Noch immer gibt es institutionalisierten Rassismus gegen Schwarze - obgleich sie einen erheblichen Anteil der Bevölkerung stellen - beispielweise wenn die afrikanischen Wurzeln der kubanischen Kultur nicht gleichberechtigt fortleben in der Geschichtsschreibung.

Nachmittags besuchten wir das Museo de Bellas Artes. Oscar Antuna, der stellvertretende Direktor des Museums erläuterte uns wichtige Meilensteine der kubanischen Geschichte und Kultur anhand diverser Malereien. 1913 gegründet, befindet sich das Museum seit 1953 in diesen Räumlichkeiten, dem Palacio de Bellas Artes, und zeigt Werke europäischer und lateinamerikanischer Kunst.

Donnerstag, 8. Februar

Heute ging es mit E-Bikes durch die Stadt. Wir durchfuhren die Stadtviertel Havannas bis nach Guanabacoa. An einer kirchlichen Schule übergaben wir einen Teil der mitgebrachten Medikamente als Spende, die von dort aus in die Gemeinde weiterverteilt werden. Wir besuchten die Finca Bacoretto, die Mehle selbst herstellt und wo wir ein großartiges Mittagessen bekamen. Anschließend besuchten wir den jüdischen Friedhof mit dem Grab von August Thalheimer. Thalheimer war Vorsitzenden der KPD und ging später in die KPO (KPD Opposition).

Freitag, 9. Februar

Vormittags besuchten wir das Proyecto Ciclo Ecopapel. Dieses Recycling-Projekt in Havanna wird von Frauen geleitet und beschäftigt sich mit dem Kreislauf von Ressourcen. So wird für die Wiederaufbereitung von Gebrauchsgegenständen beispielsweise Regenwasser verwendet und es gibt einen kleinen Secondhandladen für die Nachbarschaft. Unterstützt werden sie hierbei von der Stiftung Antonio Núnez Jiménez de la Naturaleza y el Hombre, benannt nach dem bekannten Soziologen. 

Nachmittags ging es zum Gespräch mit zwei Unternehmerinnen. Zuerst besuchten wir das Sabor Café, wo 35 Menschen beschäftigt sind. Rum, Kaffee und Tabak sind in Kuba zu 100% Staatsbesitz, der hier verkaufte Kaffee kommt daher zum Teil aus Venezuela. In Kuba gibt es zwar guten Kaffee, eine richtige Kaffeekultur hingegen aber nicht. Das liegt auch daran, dass die Maschinen - beispielsweise zum Rösten und Zubereiten - fehlen. Vor der Corona-Pandemie hatte sich eine Art „Membership-Struktur“ zum Einkauf herausgebildet, doch Corona legte diese flach und das Café musste sich neu organisieren. Werden Güter aus dem Ausland gebraucht, sind diese entsprechend teuer und es braucht ein Auslandskonto. Dadurch steigt die soziale Ungleichheit, denn Unternehmen mit Auslandskonten können deutlich günstiger importieren. Zudem hat Kuba derzeit das größte Haushaltsdefizit seit 30 Jahren und die Regierungen versucht dies über Steuererhöhungen zu kompensieren.

Anschließend besuchten wir die Mipymes Innatus (von innato=aus dir geboren, wächst mit dir). Hier werden handgenähte Designer Kleidung angeboten, die bezahlbar sein soll für die Menschen. Alle Stoffe wurden importiert, da in Kuba keine Stoffe – zumindest keine qualitativ hochwertigen - hergestellt werden. Kuba ist ein geschlossener Markt, hier gibt es kein H&M und ähnliche Fast Fashion. Es gibt zwar eine staatliche Textilproduktion, aber die produziert vornehmlich für Sport und Militär. Mit der Revolution wurden alle Modelabels und Werkstätten geschlossen, andere Sektoren wie Bildung und Gesundheit priorisiert. Es gibt keine Modeindustrie und nur eine staatliche Designschule.

Zum Mittagessen ging es in die Oasis Nelva, die weder ein Restaurant noch ein Geschäft ist, sondern beides - und zwar mit sozial-ökologischem Anspruch. Als soziales Entwicklungsprojekt will diese Oasis Nelva positiv in die Nachbarschaft und Gemeinschaft hineinwirken.

Nachmittags ging es zum Gespräch mit Adriana Heredia, Gründerin und Geschäftsführerin von Beyond Roots. Dieses Unternehmen beschäftigt sich mit der Förderung afrokubanischer Kultur auf allen Ebenen. Der Souvenirladen entstand aus dem Bedürfnis heraus, sich ein Andenken an die Erfahrung afrokubanischer Kultur mitzunehmen. Ein solcher Laden existierte nicht, daher begann Adriana Heredia und ihre Schwester mit einem Bauchladen, nun betreibt sie einen wunderschönen kleinen Laden in Havanna. Sie wollten damit nicht nur ein Zeichen für afrokubanische Kultur setzen, sondern auch zeigen, dass ein solches Projekt in Kuba funktionieren und ein Einkommen sichern kann. Denn leider verlassen viele junge Menschen nach der Uni das Land. Als Unternehmerin beschäftigt Heredia nun 44 Menschen, überwiegend Frauen (82%).  Der Name Beyond Roots ist antirassistisch zu verstehen und bedeutet, dass Menschen mehr als ihre Herkunft sind und Identitäten wachsen und sich entwickeln. 

Anschließend besuchten wir die Aula Ecologica. Die Aula Ecologica nimmt sich Orten jenseits des Tourismus an. Die Betreiber sind Teil eines Netzwerks, das mit den armen Menschen in den Vierteln Havannas arbeitet, um den Defiziten hier etwas entgegenzusetzen. Das Netzwerk besteht aus Studierten, die sich zusammengeschlossen haben, um eine kulturelle Transformation und eine Verbesserung der sozialen Lage der Menschen zu erreichen. Als lokales Entwicklungsprojekt bringt die Aula die Nachbarschaft zusammen und will dadurch auch politisch wirken. Die Aula ist ein ökologisches Projekt, das beispielsweise eigene Fahrräder und Spielzeug baut. Ein weiteres Projekt umfasst eine größere Fläche, auf der bereits die ersten Solarpanele stehen. Hier soll in der Zukunft Anbaufläche entstehen.

Der Name Aula (eigentlich Schulzimmer) spielt auf eine Kritik des pädagogischen Systems an und soll zeigen, dass Lernen auch anders gehen kann als reiner Frontalunterricht im Stil der 50er und 60er Jahre. Zudem will dieses Projekt Kenntnisse über Selbstversorgung wieder stärker in den Fokus zu rücken, da die Menschen in den Städten zunehmend entfremdet leben und dieses Wissen verloren haben.

Montag, 12. Februar

Heute besuchten wir die jüdische Gemeinde in Havanna. Die jüdische Gemeinde in Havanna-Vedado ist die größte in Kuba. Ende des 19.-Anfang des 20. Jh. kamen die ersten Jüdinnen und Juden aus den USA nach Kuba, 1906 gründete sich dann die Comunidad Hebrea de Cuba, die jüdische Gemeinde Kubas. 1914 wurde die erste richtige Synagoge in der Altstadt Havannas gebaut, das Gebäude ist heute aber nicht mehr erhalten. 

Die jüdische Gemeinde ist nicht groß, dafür aber sehr laut wie Fidel Castro einmal wohlwollend anmerkte. Es gibt eine Sonntagsschule, jüdische Tanzgruppen und Sportaktivitäten. Sicherheitspersonal braucht die Synagoge nicht, Antisemitismus sei auf Kuba schlichtweg kein Problem wurde uns gesagt. Verabschiedet wurden wir mit dem Hinweis, dass wir die erste deutsche Gruppe waren, die die Synagoge jemals besucht habe.

Nachmittags ging es in das Instituto de Filosofía, wo Dr. Georgina Alfonso über Feminismus auf Kuba und das neue Familiengesetz referierte. Der marxistische Feminismus auf Kuba hat drei wichtige Beiträge zur zeitgenössischen Debatte geliefert. Zum einen, dass der Widerstand gegen die kapitalistische Ausbeutung auch Widerstand gegen Patriarchat und Kolonialismus ist. Diese Kämpfe gilt es zu verbinden und so eine gemeinsame Perspektive der Unterdrückten zu schaffen. Dazu gehört auch, verschiedene Identitäten anzuerkennen und zuletzt muss ein auf die Zukunft gerichtetes Projekt auf den Alltagspraktiken aufbauen.

Kuba ist eine machistische Gesellschaft und die Vorstellung, mit der Revolution sei das Patriarchat abgeschafft, stimmt so leider nicht. Zwar gibt es Arbeitsgruppen, die explizit zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen geschaffen wurden, dennoch währen die patriarchalen Strukturen fort. Gleichzeitig hat Kuba jüngst das modernste Familiengesetz weltweit verabschiedet - ein Projekt, das insbesondere von jungen Frauen gefordert und vorangebracht wurde. Das neue Gesetz stärkt nicht nur die Rechte von Frauen, älteren Menschen und Pflegenden, es öffnet die Ehe zudem für alle Paare und reformiert das Adoptionsrecht.

Dienstag, 13. Februar

Gesundheit ist in Kuba ein universelles Menschenrecht, und wird auch so finanziert. Dr. Enrique Beldarraín stellt das kubanische Gesundheitssystem vor, das allen Kubanerinnen und Kubanern kostenlos zur Verfügung steht. Dabei kommen landesweit auf 900 Einwohner:innen ein:e Ärzt:in - eine sagenhaft gute Quote, gerade auch mit Blick auf das deutsche Gesundheitssystem. In jeder Nachbarschaft gibt es Hausärzt:innen und eine Gesundheitsstation, in jedem Bezirk ein Krankenhaus. Das Studium der Medizin ist kostenlos und auch die Versorgung im ländlichen Raum ist äußerst engmaschig und kostenlos für alle.

Anschließend bekamen wir einen Vortrag über die Entwicklung der kubanischen Covid-Impfstoffe von Dr. Daniel Rivera. Kuba entwickelte fünf (!) gut wirksame, bei normalen Kühlschranktemperaturen transport- und lagerfähige Impfstoffe, darunter einen für Kinder ab zwei Jahren. Kuba muss zwar die Grundstoffe importieren, produziert aber eigene Medikamente, beispielsweise gegen Krebs und HIV. Damit hat Kuba die einzige Biotech-Fabrik in Lateinamerika gegen Krebserkrankungen.

Nachmittags ging es zum Proyecto de desarrolle local Cuba Libro, zu einem Austausch mit kubanischen und US-amerikanischen Studierenden. Das Cuba Libro wurde von einer US-Amerikanerin gegründet. Die anwesenden Diskutant:innen waren eine Ärztin, die das Studium abgeschlossen hatte, eine Übersetzerin für Französisch und Englisch und ein Philosophie-Professor. Diesen konnten wirFragen stellen, die sie uns ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen beantworteten.

Mittwoch, 14. Februar

Heute ging es um Landwirtschaft und Ernährungssouveränität. Dazu gab uns Volker Klima zum Einstieg einen Vortrag über die Situation in Kuba. Während in Europa das Thema Ernährungssouveränität erst in den letzten Jahren aufkam, wird diese in Kuba schon lange praktiziert, sowohl was die Verfügbarkeit als auch den Zugang zu Lebensmitteln betrifft. Der Boden in Kuba gehört der Allgemeinheit, Bodenpreise gibt es nicht.

Anschließend ging es zur Finca Marta. Dort erklärte uns Fernando Funes, wie er mit seiner Familie aus einer ehemals verlassenen Finca einen ökologischen Landwirtschaftsbetrieb aufgebaut hat. Sie wurde vor 12 Jahren als Beitrag zur kubanischen Landwirtschaft gegründet mit dem Ziel, weitere Menschen in den Betrieb zu integrieren. Inzwischen arbeiten 40 Personen hier. Viele aus der Familie haben studiert, Biologie und Agrarökologie. Benannt ist die Finca nach der Mutter Marta, die 2007 verstarb und ihren Söhnen als Biologin viel beigebracht hat. Nach und nach konnte die Familie das Land urbar und bereit für eine nachhaltige und ökologische Landwirtschaft machen. Heute ist die Finca Marta ein erfolgreicher Landwirtschaftsbetrieb, der viele Produkte herstellt - für Fernando Funes ein wichtiger Beitrag für Kuba und für die Menschlichkeit. 

Nachmittags besuchen wir das Martin-Luther-King-Zentrum (CMLK). Das CMLK ist ein Sammlungszentrum für linke und soziale Bewegungen in Lateinamerika - eine von der Befreiungstheologie geprägte, aber nicht-religiöse Einrichtung. Dabei sieht sich das CMLK in der Tradition der internationalen Solidarität und möchte Glauben und Revolution zusammenbringen. Hier findet Bildungs- und Vernetzungsarbeit sowie internationaler Austausch statt. Dabei steht die Partizipation der Menschen als Protagonist:innen in der Gesellschaft im Vordergrund. Die Einrichtung versteht sich als sozialistisch-demokratische Einrichtung, die mit einer Kritik von links das sozialistische Projekt auf Kuba stärken und erhalten will.

Donnerstag, 15. Februar

Heute sind wir im Gespräch mit Oscar Fernández zum aktuellen Stand, zu den Herausforderungen und den Perspektiven der kubanischen Wirtschaft. Fernández war für 18 Jahre Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Havanna, inzwischen leitet er ein kleines Unternehmen, das Trockenobst exportiert. Er schildert, welche transformatorischen Prozesse durch die Öffnung der kubanischen Wirtschaft für kleine private Unternehmen (Mypimes) in Gang gesetzt wurden. Dieser Prozess wurde von Raul Castro initiiert, anfangs allerdings noch mit einer Positivliste, die nur wenige Bereiche für den Privatsektor öffnete. Seit 2021 gibt es nun eine Negativliste, die beispielsweise öffentliche Infrastruktur wie Bildung und Gesundheit sperrt, alle anderen Bereiche aber freigibt. Zwischen 2021 und 2023 sind dadurch rund 10.000 Privatunternehmen in Kuba entstanden. Der Privatsektor kann mehr importieren und schafft damit mehr Konkurrenz, was die Preise senkt. Geschätzt erwirtschaften die Mypimes inzwischen 15% des BIP, allerdings sind hier rund 40% der Menschen beschäftigt. Da die staatlichen Löhne in Kuba zu gering sind, um auskömmlich zu sein, brauchen die Menschen in der Regel einen Zusatzverdienst, auch Ärztinnen und Ärzte verdienen mit 4000 Pesos zu wenig. Da ist eine Anstellung in einer Mypimes mit den deutlich höheren Löhnen durchaus attraktiv, obwohl das bedeutet, in ein hierarchisiertes und potenziell ausbeuterisches Arbeitsverhältnis zu gehen. In Kuba wächst zurzeit nicht nur die Armut, auch der Reichtum wächst und damit die soziale Ungleichheit. Der Staat müsse, so Fernández, Armut bekämpfen, aber gleichzeitig auch die Wirtschaft modernisieren. Es sei problematisch, dass sich die Gesellschaft ändere, aber nicht die Institutionen.

Es bleibt abzuwarten, ob die Teilprivatisierung der Wirtschaft die ökonomischen Probleme Kubas lösen kann, die durch den Einbruch des Tourismus enorm sind. Kuba gibt rund 60% des Haushaltes für Soziales aus, allen voran Gesundheit und Bildung. Das gilt es zu erhalten und gleichzeitig dem Druck zur kapitalistischen Transformation zu widerstehen.

Im Anschluss besuchen wir die mipyme CubaModela. Der Gründer und Geschäftsführer kam kurz vor der Pandemie zurück nach Kuba, um sein E-Commerce Unternehmen aufzuziehen. Dafür kopiert er erfolgreiche Strategien aus anderen Ländern und implementiert diese in Kuba, beispielsweise eine Art Schneeballsystem als Marketinginstrument. Sein Ziel ist der Aufbau eines „kubanischen Amazons“.

Freitag, 16. Februar

An diesem letzten Tag fuhren in ein Standhaus für die abschließende Auswertung. Wir danken an dieser Stelle ganz besonders Raul Zelik und Andres Knobloch, für die inhaltliche und organisatorische Vorbereitung und Begleitung der Bildungsreise.

Kuba ist ein widersprüchliches Land, voll der Pracht und des Zerfalls, mit großen wirtschaftlichen Herausforderungen und großen Errungenschaften, die es zu bewahren gilt. Diese Bildungsreise sollte einen Einblick in die verschiedenen Widersprüchlichkeiten und in das Leben auf Kuba geben.