Nachricht | Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit Klimaextreme und Klimaanpassung in Deutschland

Vor welchen Herausforderungen stehen wir? Wie ist der Stand der Anpassungspolitik?

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Uwe Witt,

Flutdrama im Saarland: Ein Feuerwehrauto versinkt in den Fluten. Saarbrücken, 17.5.2024
Ohne Gegenmaßnahmen werden laut einer Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums die Schäden im Zuge des Klimawandels in Deutschland auf mehrere hundert Milliarden Euro anwachsen.  Flutdrama im Saarland: Ein Feuerwehrauto versinkt in den Fluten. Saarbrücken, 17.5.2024, Foto: IMAGO / Bernd März

Reißende Fluten, die sich mitten durch Städte wälzen, sind mittlerweile auch in Deutschland alles andere als selten. Ereignisse, die früher als «Jahrhunderthochwasser» eingeordnet wurden, erleben wir nun alle paar Jahre. Der Klimawandel ist längst bei uns angekommen, die Politik versucht darauf zu reagieren. Doch wie viel wert ist die offizielle Anpassungsstrategie an den Klimawandel?
 

Zweifellos müsste beschleunigter Klimaschutz die erste Antwort auf die Extremereignisse sein. Schon deshalb, weil viele andere Regionen der Welt deutlich verletzbarer sind als Deutschland, aber weniger zum Klimawandel beitragen. Die Zeichen dafür, dass die Bundesrepublik beim Klimaschutz eine Schippe drauflegt, stehen allerdings gerade schlecht. Nach dem Rechtsruck bei den Europawahlen ist von der Ampel-Regierung hier wenig zu erwarten. Aber darum soll es in diesem Artikel nicht gehen. Er handelt vielmehr darüber, inwieweit Politik und Gesellschaft, Maßnahmen ergriffen haben, um die Folgen dessen abzufedern, was absehbar aufgrund der bereits unvermeidlichen Erderwärmung auf uns zukommt.

Uwe Witt ist Referent für sozial-ökologische Transformation in der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Um die Dimension der Klimawandelfolgen für Nordeuropa zu begreifen, ein kurzer Ausflug in die Erdphysik. Diese sagt uns zunächst, dass sich Landmassen typischerweise eineinhalb Mal bis doppelt so viel erwärmen wie die globale Mitteltemperatur. Die Weltmeere erhitzen sich unter anderem aufgrund ihrer thermischen Trägheit langsamer. Schon jetzt – bei einer erreichten durchschnittlichen Erderwärmung im langfristigen linearen Trend von knapp 1,5 Grad Celsius liegen die Messreihen in der Bundesrepublik bei 1,8 Grad. Im letzten Jahr lag die Durchschnittstemperatur in Deutschland sogar bei ca. 10,6 Grad und damit um 2,4 Grad über dem Mittelwert der Referenzperiode 1961 bis 1990. Es war damit das wärmste Jahr seit 1881. Im Süden und Westen Deutschlands, fernab vom Meer, ist der Unterschied zum Temperaturmittel besonders hoch.

Starke Niederschläge nehmen zu, leichte ab

Höhere Temperaturen können vielerlei bedeuten. Grundsätzlich enthält eine wärmere Atmosphäre mehr Feuchtigkeit, also tendenziell ergiebigere Niederschläge, denn ein Grad wärmere Luft kann sieben Prozent mehr Wasserdampf bis zur Sättigung aufnehmen. Danach regnet sie als Wolke stärker ab. Gewitter sind dafür «Turbolader», weil aufgrund der höheren Temperaturen stärkere Aufwinde entstehen. Sie ziehen aus einem deutlich größeren Umkreis als früher Luftmassen an, die Gewitterzellen werden zusätzlich mit Wasserdampf beladen. Verheerende Sturzregen können die Folge sein.

Im Gegenzug werden Niederschläge in geringem Umfang seltener und weniger ergiebig. Denn der Nachschub an Feuchtigkeit aus der Verdunstung von den Meeresoberflächen nimmt nur um zwei bis drei Prozent pro Grad Erderwärmung zu. Das bedeutet, es braucht nach einem Regen länger (und mehr Wasserdampf), bis die Feuchtigkeitsspeicher der Luft durch Verdunstung wieder so stark gefüllt sind, dass sie abregnen (siehe dazu auch Vortrag von Prof. Rahmstorf).

Zudem haben wir es in einer wärmeren Welt häufiger mit Dürren zu tun, und zwar exponentiell zur Erwärmung: Wärmere Luft kann zwar mehr Luftfeuchte aufnehmen, aber nicht überall gleichzeitig gesättigt werden. Fehlt irgendwo der Feuchtigkeitsnachschub von unten, entsteht so genannter «Dampfhunger». Luft mit beispielsweise 60 Prozent relativer Luftfeuchte enthält bei höherer Temperatur mehr Wasserdampf, kann aber andererseits noch mehr Wasserdampf aufnehmen als Luft mit niedrigerer Temperatur. Streift solche wärmere ungesättigte Luft über Böden oder Vegetation, trocknen diese schneller aus.

Über alle diese Prozesse, die Wetterextreme wahrscheinlicher machen, liegt ein weiterer Verstärkungsmechanismus – das häufigere klimabedingte Verharren von Großwetterlagen. Da sich klimawandelbedingt die um die Pole wellenförmig strömenden Jetstreams abschwächen und stärker «ausleiern» (aufgrund von geringeren Druckunterschiede zwischen Äquator und Polen), werden die Tief- oder Hochdruckgebiete auf der Nordhalbkugel von ihnen weniger schnell von West nach Ost geschoben. Katastrophal anhaltende lokale Niederschläge, wie im Ahrtal 2021 können die Folge sein. Die nunmehr nur schleppende Verlagerung von Luftdruckgebieten kann uns aber auch in Form eines nicht enden wollenden Sommerhochs erwischen. Dann ist wochenlang Trockenheit angesagt, im Sommer dazu andauernde Hitze.

Die Folgen des Klimawandels können hierzulande vor allem ärmere und anderweitig vulnerable (verwundbare) Haushalte treffen: Bei Hitze Mieter*innen etwa, die bei geringen Einkommen häufig in eher schlecht gedämmten Häusern wohnen, wie eine Studie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung im letzten Jahr ergab; oder ältere und kranke Menschen. Öffentliche Mittel für energetische Gebäudesanierung werden dagegen weit überdurchschnittlich von Haushalten mit hohen Einkommen in Anspruch genommen. Insofern hat nicht nur Klimaschutz, sondern auch Klimaanpassung eine zutiefst soziale Seite.

Die Deutsche Anpassungsstrategie (DAS)

Bereits seit 20 Jahren beschäftigt sich die Bundespolitik mit den drohenden Veränderungen. Seit 2005 wurde die «Deutschen Anpassungsstrategie» (DAS) entworfen und 2008 beschlossen. Das Problem: Wirklich wirksame Schritte zur konkreten Umsetzung lassen bis heute auf sich warten. Dabei wurde die Strategie mehrfach fortgeschrieben und durch Unmengen wissenschaftlicher Studien untersetzt.

Eine «Vulnerabilitätsanalyse» beispielsweise fasste im Jahr 2005 in sechs Schwerpunkten jene Verwundbarkeiten zusammen, die hierzulande eine besondere Relevanz haben. Erstens: Schäden durch ansteigende Hitzebelastung in Verdichtungsräumen, insbesondere in Ballungsgebieten in warmen Regionen, die sich in Zukunft noch ausdehnen werden. Zweitens: die Beeinträchtigung der Wassernutzungen infolge zunehmender Erwärmung und in Zukunft vermehrter Sommertrockenheit. Betroffen wären hier vor allem Regionen mit ohnehin warmen und trockenem Klima in Ostdeutschland und das Rhein-Einzugsgebiet. Drittens: Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen durch Starkregen und Sturzfluten in urbanen Räumen. Als räumlicher Schwerpunkt wurden hier Ballungszentren im nordwestdeutschen Tiefland, im Mittelgebirge und im südwestdeutschen Raum angegeben. Viertens: Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen durch Flussüberschwemmungen. Man vermutet, dass diese vor allem in Ballungsräumen in Flusstälern des norddeutschen Tieflands, aber auch im Einzugsgebiet des Rheins und der Donau auftreten werden. Fünftens: Schäden an Küsten infolge des Meeresspiegelanstiegs und des damit verbundenen erhöhten Seegangs sowie steigender Sturmflutgefahr. Sechstens schließlich rechnen die Forscher*innen infolge der Erwärmung damit, dass sich in den Meeren und ländlichen Räumen die Artenzusammensetzung und die natürlichen Entwicklungsphasen verändern werden.

Die Risiko-Hotspots des Klimawandels

Aus den sechs Schwerpunkten der Vulnerabilitätsanalyse wurden im Jahr 2021 in einer vertieften Klimawirkungs- und Risikoanalyse des Umweltbundesamtes (KWRA) 31 Hotspots. Zu ihnen gehören sehr starke Hitzebelastungen besonders in Städten, Wassermangel im Boden und häufigere Niedrigwasser mit schwerwiegenden Folgen für alle Ökosysteme, die Land- und Forstwirtschaft sowie den Warentransport. Außerdem geht es um ökonomische Schäden, verursacht durch Starkregen, Sturzfluten und Hochwasser an Bauwerken, um das steigende Waldbrandrisiko sowie den durch den graduellen Temperaturanstieg verursachten Artenwandel einschließlich der Ausbreitung von Krankheitsüberträgern und Schädlingen.

Aktionspläne der DAS-Fortschreibungen sollten darauf reagieren. Ein Teil der Maßnahmen basierte auf ohnehin existierenden Programmen, etwa beim Hochwasserschutz oder bei dem seit Jahrzehnten existierenden Bundesprogramm Biologische Vielfalt. Neu dagegen waren Forschungsprojekte, die darauf abzielen, den Klimawandel in den Normen für das Bauwesen stärker zu berücksichtigen. Oder eines, das festlegen sollte, welche Bahnausweichstrecken langfristig zur Abpufferung von Extremwetterschäden benötigt werden und damit strategische Bedeutung erhalten.

Business as usual?

In der Praxis wird bis heute jedoch vielfach fröhlich weitergebaut und versiegelt, als wären Klimawandel und Anpassung Lifestylethemen. Beton- und Stahlpaläste, die die Innenstädte weiter aufheizen, seelenlose Investorenarchitektur ohne Frischluftschneisen, immer mehr stillgelegte Haupt- und Ausweichstrecken bei der Bahn. Die Umsetzung der Forschungsergebnisse und Empfehlungen der DAS obliegt ohnehin überwiegend den Ländern und Kommunen – die aber kaum Geld dafür haben.

Zuletzt beschloss der Bundestag im Dezember 2023 ein Klimaanpassungsgesetz (KAnG). Danach müssen die Bundesländer systematische und flächendeckende Strategien zur Klimaanpassung vorlegen, um Gefahren wie extremer Hitze und Überschwemmungen, Dürren oder Ernteausfällen vorzubeugen. Gemeinden und Kreise sollen dazu Konzepte auf Grundlage von Risikoanalysen ausarbeiten. Das neue Gesetz enthält jedoch immer noch keine konkreten und messbaren Ziele. Diese will die Bundesregierung erst bis zum Herbst dieses Jahrs liefern.

Ohne Gegenmaßnahmen werden laut einer Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums die Schäden im Zuge des Klimawandels in Deutschland auf mehrere hundert Milliarden Euro anwachsen (je nach Annahme zwischen 280 Milliarden Euro und 910 Milliarden Euro). Passt sich die Bundesrepublik rechtzeitig an, ließen sich die Kosten auf 350 Milliarden Euro begrenzen.

Bei der Finanzierung der Aufgaben schieben sich Bund und Länder allerdings gegenseitig die Verantwortung zu. Nach Schätzungen des Bundes könnten allein die Anpassungskonzepte der Gemeinden die Länder bereits zwei Milliarden Euro kosten – ohne dass irgendwelche Maßnahmen umgesetzt würden. Die SPD möchte darum zur Klimaanpassung eine neue «Gemeinschaftsaufgabe» ins Grundgesetz aufzunehmen. Die Idee ist nicht neu, sie wird schon seit 2021 ergebnislos diskutiert. Eine Gemeinschaftsaufgabe könnte eine direkte Finanzierung von Aufgaben der Gemeinden durch den Bund ermöglichen, die sonst nicht möglich wäre. Im Auftrag der Klima-Allianz Deutschland diskutiert eine Machbarkeitsstudie die Vor- und Nachteile dieser Lösung gegenüber einer alternativen Möglichkeit, Umsatzsteuereinnahmen zugunsten der Kommunen zu verteilen. Experten hatten sich bereits im November bei einer Anhörung im Umweltausschuss des Bundestages für eine entsprechende Grundgesetzänderung stark gemacht.

Über eine Gemeinschaftsaufgabe wurde zuletzt auch auf der 102. Umweltministerkonferenz (UMK) Anfang Juni diskutiert. Das Gremium forderte die Bundesregierung auf, diesbezüglich offene Rechtsfragen zu prüfen. In einer Protokollerklärung hielten die von SPD, Grünen und Linken geführten Länder darüber hinaus eine Reform der Schuldenbremse für notwendig.

Umweltministerin Steffi Lemke plant derweil angesichts der jüngsten Überschwemmungen ein Hochwasserschutzgesetz. Aber auch die Finanzierung dafür ist offen, zumal Im Haushalt 2025 eine zweistellige Milliardenlücke klafft. Alles im allem wird alles am Geld hängen. Angesichts des Karlsruher Urteils zum Klima-und Transformations-Fonds und der reaktionären Haltung von Union und FDP in Sachen Schuldenbremse und Umverteilung kann man hier leider kaum zuversichtlich sein.