Nachricht | Stadt / Kommune / Region Bericht zur Veranstaltung «Mietenwahnsinn» am 25.09.2014 in Tübingen

Mit Andrej Holm, Andreas Feldtkeller und Cord Söhlke

Die Ergebnisse seiner Forschungen und politischen Aktivitäten würden ja eigentlich aus «richtigen Großstädten» stammen, meint der Stadtsoziologe Andrej Holm mit einem Augenzwinkern. Der Raum der VHS Tübingen platzt zu diesem Zeitpunkt bereits aus allen Nähten: rund 135 Personen sind gekommen, um sich seine Ausführungen anzuhören zur Frage, was eigentlich die Ursachen sind für die aktuelle Wohnungsfrage, für die exorbitant steigenden Mieten, für die steigende Zahl von wohnungslosen Menschen etc.

Anhand konkreter Beispiele widmet er sich einigen zentralen Faktoren, wie z.B. energetische Sanierungsmaßnahmen, die der Vermieter/innen ohne Zustimmung der Mieter/innen durchführen darf und die zu Mietsteigerungen führen. Marxistisch theoretisch erklärt er, wie Wohnungen zur Ware werden, die Wohnung zu einem Geschäftsmodell wird. Der Wohnungs«markt» ist ein sehr unvollkommener Markt – es fehle an Transparenz, die Wohnungsarten sind sehr unterschiedlich etc. Lagedifferenzen verwandeln Wohnungen in ein «knappes Gut»: die Mieten richten sich häufig nach der schwer definierbaren «guten Lage». Holm berichtet von einem Mietshaus in der Linienstraße in Berlin Mitte und dessen Geschichte seit der Wende – der Wechsel mehrerer Investoren und wie damit die Mietensteil angestiegen sind  – die ehemaligen Mieter/innen sind schon lange an den Rand oder außerhalb von Berlin verdrängt. Mittlerweile gibt es in der Branche Firmen, die «Aktives Mietmanagement» betreiben, sprich Mieter/innen unter Druck setzen, damit sie aus der Wohnung ausziehen, um Platz zu schaffen für neue, zahlungskräftigere Mieter/innen. Holm plädierte am Ende seines Vortrags für ein gesellschaftliches Umdenken in Bezug auf Wohnen: Wohnen sollte als Teil einer sozialen Infrastruktur gesehen werden – sprich als ein Grundbedürfnis, dass grundlegend gewährleistet und zur Verfügung gestellt werden sollte. Das würde bedeuten die Wohnungsversorgung jenseits von Marktlogiken zu organisieren. Voraussetzung wäre eine neue tragfähige Interessenskoalition zu etablieren. Als Alternativen führt Holm das «Rote Wien» (1918 – 1934) an, wo u.a. eine progressive Besteuerung von privatem Immobilienbesitz eingeführt wurde. Als bereits existierende  Modelle, die in eine solche Richtung weisen, nennt er das Mietshäuser-Syndikat, Wohnungen in kommunalem Eigentum oder die Community Land Trusts z.B. in Großbritannien.

In einem zweiten Teil der Veranstaltung werden der ehemalige Stadtplaner Andreas Feldtkeller und der amtierende Baubürgermeister Cord Söhlke von der Moderation befragt, ob Wohnen als Soziale Infrastruktur in Tübingen zu realisieren sei. Cord Söhlke weist darauf hin, dass die Stadt Tübingen bisher – und das soll ausgeweitet werden für die Planung der nächsten Stadtteile – ein Mischkonzept bevorzugt: Baugruppen, Mietshäuser-Syndikatsprojekte und andere Formen sollen nebeneinander existieren und das Viertel durchmischen. Andreas Feldtkeller plädiert darauf zu achten, darüber nachzudenken, was Stadt bedeutet – es bedeute mehr als nur Wohnen. Es braucht Möglichkeiten der nachbarschaftlichen Kommunikation, Kultur, Läden, öffentlicher Nahverkehr etc. Andrej Holm erinnert, dass der öffentliche Zugang zur Gestaltung eines Stadtteils, einer Stadt, eines Wohngebiets immer erst geschaffen werden muss – sprich es braucht kommunalpolitische Steuerungsinstrumente, um den «Wohnungsmarkt» unattraktiv für Immobilienspekulation zu machen.

In der offenen Diskussion mit dem Publikum wurde zum einen danach gefragt, in wieweit das Mietshäuser-Syndikat überhaupt verallgemeinerbar ist. Zum anderen wurde daran erinnert, dass es nicht nur um Menschen mit geregeltem Einkommen gehen dürfte, sondern auch um Flüchtlinge, um Menschen mit Alg II Bezug, die keine Chance hätten auf dem Tübinger Wohnungsmarkt. Hier würde es mehr kommunalpolitische Steuerungselemente benötigen. Abschließend rät Andrej Holm Tübingen die vorhandene Unzufriedenheit produktiv zu nutzen und zu überlegen, inwieweit man eine marktferne Organisierung von Wohnungen angehen kann. Es gibt viele Möglichkeiten in dem Zusammenspiel von Stadtgesellschaft und Zivilgesellschaft. Des Weiteren sähe er in der «Tübinger Gemütlichkeit» ein großes Potenzial.

Offen bleiben die Fragen, wie man mit den jetzt existierenden hohen Mieten umgeht. Wie begegnet man Vermietern/innen, die ihre Wohnungen zu 14.- Euro den qm/Kaltmiete anbieten? Wie handhabt man die Tatsache, dass Menschen über Baugruppen Wohnungen bauen für den qm-Preis von 2.000.- bis 2.800 Euro, die sie dann hinterher zu 3.600.- Euro weiterverkaufen? Da wird – obwohl fortschrittlich – ein Mischkonzept und verstärkten sozialen Wohnungsbau nicht ausreichen.