Publikation Bus-Industrie als Baustein für die soziale Verkehrswende

Veranstaltungsbericht 19.11.2022

Information

Am Samstag, den 19.11.2022 diskutierten Antje Blöcker (Senior research fellow am Institut für Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule) und Bernd Riexinger (MdB, Die Linke) auf Einladung des Rosa Luxemburg Club Mannheim und von MdB Gökay Akbulut (Mannheim) über den aktuellen Stand und die Zukunftsperspektiven der Bus-Industrie in Deutschland.

Gökay Akbulut machte zu Beginn den Anlass und lokalen Bezug der Veranstaltung deutlich: die Gefährdung des Mannheimer Werks der 100%-igen Daimler-Tochter EvoBus GmbH. Im Juni 2022 kündigte das Management eine Restrukturierung der Stadtbusherstellung am Standort Mannheim und der Reisebusfertigung in Neu-Ulm an. An beiden Standorten sollen bis 2030 sowohl Produktionsvolumina als auch die Zahl der Vollzeitstellen reduziert werden (minus 1000 AK in Mannheim und minus 600 in Neu-Ulm). Der Kern der Wertschöpfung, der Bus-Karosseriebau, soll aus Mannheim an den Standort in der Tschechischen Republik verlagert werden und auch neue Aufträge der Bus-Endmontage sollen  in Zukunft an den französischen Standort und nicht mehr nach Mannheim gehen. Diese „Entkernung“ wurde als bedrohlich für den Bestand des gesamten Standortes gewertet. Das Management wertet die Bus-Produktion als nicht mehr rentabel und setzt offenbar nicht auf eine Steigerung der Profite durch Personaleinsparung und Arbeitsverdichtung, sondern auf Komplettabbau und Verlagerung der Produktion.

«Mit dem Kahlschlag bei Evo-Bus an den Standorten Mannheim und Neu-Ulm droht dort die Chance verloren zu gehen, aus der Verkehrswende auch Beschäftigung(ssicherung) zu generieren.»
Antje Blöcker, Senior Research Fellow am Institut für Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule

Neben der Sorge um die Arbeitsplätze der betroffenen Kolleg*innen, die als von einer Rendite-getriebenen Verlagerung bedroht gesehen wurden, thematisierten die Vorträge und die anschließende Diskussion auch die industriepolitische Dimension der Evo-Verlagerung. Was kann dagegen getan werden, dass angesichts der strategischen Bedeutung der Bus-Herstellung für den klimapolitisch gebotenen Ausbau des ÖPNV, die letzten Standorte in Deutschland ab- statt ausgebaut werden?

Antje Blöcker leite die Veranstaltung mit einer Bestandsaufnahme ein und konstatierte einen Trend des Niedergangs der Bus-Fertigung in der Bundesrepublik (Zu den Vortragsfolien). Von einer ursprünglichen Vielzahl von Herstellern (Deutz, Magirus u.a.) sind nur noch MAN (Bus-Fertigung unter dem Namen Traton und zum VW-Konzern gehörig) und eben EvoBus zurückgeblieben. Auch die Fertigstellungszahlen würden stagnieren. Übergeordnete Trends seien weiter: Die Zunahme der Bus-Neuzulassungen (eine Mobilitätswende findet – wenn auch möglicherweise zu langsam – statt) in Deutschland in den letzten Jahren, wobei die zunehmend konkurrenzfähigen Firmen aus dem Ausland den Nachfrageüberhang füllen würde, der von der „einheimischen“ Industrie nicht gedeckt werde. Ebenso wie deutsche Auto-Konzerne ihre Produktion in die Nähe der großen Wachstumsmärkte (Asien) verlagert hätten, habe sich z.B. der Chinesische Bus-Hersteller BYD mit einem Werk in Ungarn im ÖPNV-Wachstumsmarkt Europa angesiedelt („Made in Europe for Europe“).

Nach Blöckers Ansicht wäre die deutsche Bus-Industrie durch Markt- und Rendite-getriebene Verlagerung an einem Punkt, an dem der drastische Verlust von Kompetenzen und Produktionspotenzial bevorstehe – und hiermit  würde auch eine Chance verloren zu gehen, aus der Verkehrswende auch Beschäftigung(ssicherung) zu generieren.

Von der Kapitalseite gewollte Fehlentwicklungen in der Bus-Branche zeichnet Blöcker weiter mit konkretem Bezug zu EvoBus nach: Mit der Integration von Evo in die Daimler Truck AG habe für Evo auch die Konzentration auf schwere Nutzfahrzeuge über 8 Tonnen von Daimler Truck gegolten. Die zuvor zu Evo gehörige Mini-Bus Produktion am Standort Dortmund wurde im Zuge der Angliederung von Evo an DB Truck 2021 abverkauft. Diese Entscheidung sei, so Blöcker, bereits eine schwere Hypothek für die Zukunftsfähigkeit von Evo gewesen, denn die Nachfrage nach kleinen und mittlere ÖPNV-Fahrzeugen sei besonders hoch (in der auf die Vorträge folgenden Diskussion sagte ein Teilnehmer, der in der Beschaffung eines kommunalen Verkehrsbetriebs in BaWü arbeitet, dass eine komplette Marktlücke bei mittleren Fahrzeugen mit ca. 20 Sitzen bestehe).
Eine andere Schwäche sei die Verspätung im Angebot von Bussen bei den deutschen Busherstellern mit sogenannten „sauberen“ Antrieben (batterieelektrisch, Wasserstoff, hybrid, Oberleitung), deren Anzahl durch die Clean Vehicle Directive der EU seit 2021 vorgegeben ist.

A. Blöcker äußerte zum Schluss die Hoffnung, dass es der IG Metall gelingen könne, über die harten Abwehrkämpfe hinaus, den Arbeitgeber auch bei industriepolitischen Fragestellungen zu einem klaren Standort-Statement für Mannheim und Neu-Ulm zu zwingen. Der Betriebsrat habe dem Management einen Fragenkatalog zu betrieblichen Zahlen und Informationen  als Voraussetzung für weitere Verhandlungen vorgelegt. Die Beantwortung dieses Fragenkatalogs sei bis zum Zeitpunkt der Veranstaltung nicht zufriedenstellend verlaufen.

Nötige Debatten, die sowohl in der Gewerkschaft auch in der Kommunal- und Landespolitik geführt werden könnten, sei die Frage: welche Busse, welche Modelle brauchen wir? Was können Vergabe-Gesetze wie das Tariftreue-Gesetz bewirken? Wie könnten Beschaffungs-Programme kommunaler Verkehrsbetriebe mit einer sinnvollen ÖPNV-Produktion an den Bus-Standorten in der Region kombiniert werden?

«Markt und Rendite sind schlechten Ratgeber in der sozialen und ökologischen Transformation: zu langsam, falsche Schwerpunkte und ohne jegliche politisch-ökologische Zukunftsvision. Wir brauchen jetzt einen Industrie-politischen Eingriff des Staates, um Beschäftigung in den Industrien für die Verkehrswende aufzubauen.»
Bernd Riexinger, Mitglied des Bundestages, Die LINKE, Mitglied im Verkehrsausschuss

Bernd Riexinger, MdB der Linken und Mitglied im Verkehrsschusses des Bundestags schloss an die Ausführungen von Antje Blöcker an und arbeitete die besondere Bedeutung von Bussen für die Verkehrswende heraus. Angesichts eines dramatischen Investitionsstaus bei der Schienen-Infrastruktur in Deutschland, seinen Bussen enorm wichtig. Es bestehe nach wie vor ein eklatantes Missverhältnis zwischen dem Ausbau von Schienen-Infrastruktur (77 km in 2021) zur Straßeninfrastruktur (6.000 km in 2021). Vorteil der Busse sei, dass die Einrichtung von Linien relativ leicht möglich sei, u. a. zum schnellen Ausbau ÖPNV-Anbindungen von peripheren Gebieten – sowohl mit kleinen Fahrzeugen innerhalb von Städten als auch auf dem Land. Zum Ausbau der Bus-Infrastruktur gehören auch städtebauliche Veränderungen, wie die Umwidmung von Auto-Fahrstreifen zu Busspuren, die den Bus-ÖPNV beschleunigen würden (hier liege ein Handlungsfeld für fortschrittliche Kommunalpolitik). Weitere Baustelle im Sinne des massenhaften Umstiegs vom privaten PKW auf den ÖV seien die Fahrpreise, die – über das geplante 49-Euro/Deutschlandticket hinaus – gesenkt werden müssten sowie eine Verbesserung der Taktung und Zuverlässigkeit des ÖPNV.

Als Gewerkschafter nahm Riexinger in seinem Input auch zu den industriepolitischen Fragen Stellung und stellte die dramatischen Beschäftigungsverluste im Überblick dar, die auf die Kolleginnen und Kollegen in der Automobilbranche zukämen und in Bezug auf zahlreiche Zulieferfirmen bereits bittere Realität seien (Schließungen und Verlagerungen bei Eberspächer, Bosch Bietigheim, Mann + Hummel etc.). Sowohl die Rendite- und Markt-getriebene Verlagerung, von Produktion ins Ausland gehe weiter (inzwischen würden auch schon Teile von Forschung & Entwicklung ins Ausland verlegt) und auch die Umstellung der Autoherstellung auf batterieelektrische Fahrzeuge verschärfe die Situation weiter, da diese im Vergleich zum Verbrenner deutlich weniger Teile und damit Arbeitskraft erfordern würden.

Um einen Kahlschlag und den Verlust von tariflich gesicherter Industrie-Beschäftigung zu vermeiden, dürfe die Entwicklung nicht dem Markt und den kurzsichtigen Entscheidungen der Konzern-Spitzen überlassen werden. Diese stünden, z. B. bei Mercedes, wohl auf dem Standpunkt: „Was interessiert uns die Mobilitätswende, wir machen Luxusstrategie und produzieren für den internationalen Markt“, so Riexinger. Ob und für wie lange eine solche Strategie aber wirklich helfe, sich die aufholende Konkurrenz vom Leib zu halten und Beschäftigung und Industrie-Produktion zu sichern, sei völlig offen – abgesehen vom der fragwürdigen (Gebrauchs-)Wert schwerer Luxus-PKW.

Markt und Shareholder-Value seien schlechten Ratgeber (nicht nur) in einem gravierenden strukturellen Umbruch und sich verengenden Zeitfenstern, um den Treibhausgasausstoß zu verringern: zu langsam, anarchisch und ohne politisch-ökologische Zukunftsvision. Stattdessen plädierte Riexinger für starke staatliche, Industrie-politische Eingriffe. Ähnliche wie Antje Blöcker im vorhergehender Beitrag liege im Ausbau der Industrie-Produktion für Güter des öffentlichen Verkehrs eine Chance, um Beschäftigungsverluste zu kompensieren.

Als Ansätze solcher Politiken seinen z. B. die bewusste Ansiedlung des ICE-Instandhaltungswerks in der Kohleregion nahe Cottbus/Lausitz durch den Staatskonzern Deutsche Bahn. Ähnliche könne auch im Automobilland Ba-Wü die Ansiedlung neuer und der Ausbau schon bestehender Industrien z. B. im Bereich Bus, Bahn, Schiene staatlich forciert werden. Für Produkte also, bei denen lange Lieferzeiten und ein Nachfrageüberhang einen Bedarf anzeigen.

Solche Forderungen könnten, aus Riexingers Sicht, eine wichtige Ergänzung im Diskurs der Gewerkschaften sein, dem Abwehrkampf gegen Schließung und Verlagerung (insbesondere auch im Bereich der Automobil-Zulieferer) eine positive Vision der Ansiedlung und Förderung alternativer Produktion zur Seite zu stellen.

Der Fall EvoBus in Mannheim und Neu-Ulm sei dagegen bisher ein Negativ-Beispiel auf allen Ebenen: Nicht nur, dass dabei, wie bei jeder anderen Rendite-getriebenen, Verlagerung Arbeitsplätze verloren gingen; es drohe – so wie von Antje Blöcker eingangs dargestellt – auch der Verlust von Produktionskapazität, Know-How und Technik in einer Industrie, die für die Verkehrswende bedeutsam und zukunftsweisend sei. Man müsse alles daransetzen, dass es Gewerkschaften und Zivilgesellschaft mit vereinten Kräften gelinge, diesen Kahlschlag abzuwenden. Hier lägen zudem – so Riexingers Eindruck – auch Potenziale für eine fruchtbare Kooperation von Gewerkschaften und Klimabewegung, die noch ausgebaut werden könne.

Solche Ideen und Forderungen und auch die beschriebenen Allianzen aus Gewerkschaften, kritischer Wissenschaft, Kommunal-, Landes- und Bundespolitik sowie Umwelt- und Klimabewegung müssten allerdings erst aufgebaut werden. Forderungen müssten entwickelt, diskutiert werden. Hierzu könne er sich regionale Arbeitskreise vorstellen, die frischen Wind in die Debatte um den Erhalt von Beschäftigung und um eine Industrie-Politik für die Verkehrswende bringen würden.