Klimakrise, Mobilitätswende & Wirtschaftsdemokratie
Wie groß die Herausforderungen sind und wie dringlich Lösungen gefunden werden müssen, machte der Jenaer Soziologe Prof. Klaus Dörre in seinem einleitenden Vortrag deutlich. Sämtliche entwickelten Industriegesellschaften befänden sich in einer historisch neuartigen «ökologisch-ökonomischen Zangenkrise». Deren negative Effekte schlügen immer stärker in die entwickelten Zentren durch, die Zeitbudgets zur Bearbeitung der Krise schrumpften radikal. Das kapitalistische Wirtschaftssystem sei nur noch um den Preis sich aufschaukelnder ökologischer, ökonomischer und sozialer Krisen in der Lage, temporäre Auswege aus den Krisen zu finden. Langfristig sei der Kapitalismus als Wirtschaftssystem für eine «Planten mit begrenzten Ressourcen» nicht zukunftsfähig. Das Dilemma kapitalistischer Krisenbearbeitung angesichts der «ökologisch-ökonomischen Zangenkrise» manifestiere sich in dem Dilemma, dass wirtschaftliches Wachstum unter den gegeben Bedingungen einerseits nötig sei, um die politische und soziale Stabilität der Gesellschaft zu ermöglichen, dass es andererseits aber notwendig zu sich verschärfenden ökologischen Krisen führe.
In dieser Konstellation gäbe es Bestrebungen, einen Ausweg aus dem o.g. Dilemma der «Zangenkrise» zu finden, indem man versuche, Innovationsstrategien zu entwickeln, die ökonomisches Wachstum und Ressourcenverbrauch voneinander entkoppeln. Dieser Vorstellung, dass ein «grüner Kapitalismus» in der Lage sei, den ökonomischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen der Gegenwart gerecht zu werden, erteilte Klaus Dörre im Vortrag eine Absage. Die Entwicklung der letzten Jahre habe gezeigt, dass eine solche Entkopplung nicht stattfinde. Eine sich auf technische Innovationen beschränkende und auf Marktmechanismen setzende Modernisierungsstrategie sei nicht in der Lage, die anvisierten Klimaziele zu erreichen. Auch aus verteilungspolitischer Sicht sei das Wachstumsmodell in Frage zu stellen. Wirtschaftswachstum führe immer weniger zu zunehmendem Wohlstand bei den unteren Einkommensgruppen. Insbesondere die Beschäftigte in den Kernbereichen der Industrieproduktion kämen immer stärker unter Druck. Schließlich führe die Strategie des «grünen Kapitalismus» auch zu politischen Verwerfungen, da die marktzentrierte Bearbeitung der «Zangenkrise» den Nährboden schaffe für Bewegungen, die bestehende und sich verschärfende Ungerechtigkeiten dieses Wandels thematisierten («Fliegen und Autofahren nur für Reiche»), dabei jedoch die Notwendigkeit der Transformation generell leugneten und versuchten, die Beschäftigten für ein regressives, nationalistisch-protektionistisches und wohlstandschauvinistisches Projekt der Verteidigung des Bestehenden zu gewinnen.
Um die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für den notwendigen ökologischen Umbau zu gewinnen, müssten die soziale Komponente des Klimawandels viel stärker angegangen werden. Auch in den reichen Gesellschaften seien es v.a. die Wohlhabenden, die einen viel stärkeren Beitrag leisten müssten. So seien die CO2-Emissionen seit 1990 zwar um 25% zurückgegangen. Diese Einsparung sei jedoch fast ausschließlich von der unteren Hälfte der Bevölkerung geleistet worden, während die oberen 10% ihren ökologischen Fußabdruck sogar vergrößert hätten.
Der Strategie eines «grünen Kapitalismus» stellte Klaus Dörre die Transformation zu einer Gesellschaft entgegen, die sich vom Zwang zum dauerhaften und schnellen Wirtschaftswachstum befreie und in der Lage sei, Klimaschutzpolitik für die «99 Prozent» zu machen. Am Bestehenden anknüpfend böten die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen hierfür einen Ansatzpunkt, der zur normativen Grundlage linker Politik gemacht werden könne. Die Orientierung an diesen Zielen für eine nachhaltige Entwicklung solle an die Stelle der Fixierung auf die Messgröße des BIP treten: Diese Zielgrößen seien universalistisch, also an verallgemeinerbaren Interessen anknüpfend. Sie seien in ihrem Anspruch global. Sie gewichteten die Ansprüche auf soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit gleich. Sie seien konkret und überprüfbar, so dass die Politik transparent an diesen gemessen werden kann, ohne dass durch sie vorgegeben wird, auf welche Weise die Politik durch ihr Handeln diese Ziele erreichen solle.
Die angestrebte Dekarbonisierung der Wirtschaft bis 2045 sei, daran ließ Klaus Dörre keinen Zweifel, eine ungeheure Herausforderung, der grundlegendste Umbruch seit der ersten Industriellen Revolution. Was aus diesem Umbau der Wirtschaft folge und wie dieser im Interesse der Mehrheit der Menschen gestaltet werden könne, skizzierte Dörre abschließend exemplarisch für das Feld der Mobilität. Der Übergang zu nachhaltigen Mobilitätssystemen, die Reduktion des Individualverkehrs sowie die vollständige Umstellung auf elektrische Antriebsstränge könne bis zu 300.000 Arbeitsplätze überflüssig machen, in manchen Werken könnten bis zu 50% der Arbeitsplätze wegfallen. Besonders kleine und mittlere Zulieferer gerieten unter ökonomischen Druck. Trotz dieser Dimensionen (im Mercedes-Werk Stuttgart-Untertürkheim arbeiten 20.000 Beschäftigte am Verbrennungsmotor) sei in den Belegschaften und bei den betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretungen im Umgang damit noch vieles offen und ungeklärt. Aber man könne den Wandel nicht länger hinausschieben, «konservierende Interessenpolitik» sei kein Erfolgsrezept. Im Gegenteil: je länger der notwendige Wandel aufgeschoben würde, desto einschneidender sei der Bruch. Stattdessen gelte es, jetzt nach Alternativen Ausschau zu halten und diese zu gestalten. Diese Alternativen seien zum einen in der Produktion von Gütern und Dienstleistungen für nachhaltige Mobilitätssysteme zu finden. Aber es gelte auch, neue Arbeitsverhältnisse außerhalb der industriellen Produktion zu schaffen, die sozial und ökologisch sinnvoll seien und keinen Statusverlust für die in diesen Bereichen Tätigen mit sich bringe. Ein nachhaltiges Mobilitätssystem müsse die optimale Verzahnung aller Mobilitätsträger gewährleisten bis zur «letzten Meile», um den individuellen Mobilitätsbedürfnissen der Menschen gerecht werden zu können. Hierfür sei ein Ausbau und eine qualitative Verbesserung öffentlicher Mobilitätsangebote ebenso erforderlich wie die Gewährleistung einer öffentlichen digitalen Infrastruktur. Neben der vollständigen Umstellung auf E-Mobilität und deren vollständiger Speisung aus erneuerbaren Energien sei die Reduktion von Mobilität eine weitere wichtige Komponente für nachhaltige Mobilität. Damit gingen auch Konsequenzen für die Stadt- und Raumplanung einher sowie eine neue Verzahnung von Arbeit, Leben und Freizeit.
Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen gelte es, neue politische und (zivil-)gesellschaftliche Allianzen zwischen Akteuren aus der Umweltbewegung, der Gewerkschaften sowie der politischen Linken zu schaffen. Ein Hoffnung machendes Beispiel sei hier die Zusammenarbeit von ver.di und Fridays for Future in der Tarifrunde für den Nahverkehr im Jahr 2020 gewesen[1], in der neben Entgeltforderungen bewusst die politische Forderung nach einer besseren Finanzierung des ÖPNV in den Mittelpunkt gestellt worden sei. Letztlich müssten solche Allianzen auch die Eigentumsfrage stellen als eine Frage danach, wie die demokratische Zivilgesellschaft, die Beschäftigten und die Konsument:innen Einfluss nehmen können auf die Frage, was produziert, wie produziert und wie das Produzierte verteilt wird. Neben der Ausweitung der Mitbestimmung im Betrieb sei die Schaffung von regionalen Klimatransformationsräten, bestehend aus Gewerkschaften, sozialen und ökologischen Bewegungen ein wichtiges Instrument, um eine demokratische Kontrolle des Einsatzes wirtschaftlicher Ressourcen zu gewährleisten und für Transparenz über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in der Region zu sorgen.
Beschäftigungspotenziale alternativer Produktion als Basis der Mobilitätswende
Mario Candeias, Leiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, berichtete anschließend über eine aktuelle Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu Beschäftigungspotenzialen alternativer Mobilitäts-Produktion.[2] Gespräche in Betrieben hätten gezeigt, dass bei den Beschäftigten nur wenig Vertrauen vorhanden sei, dass die von den Konzernen verfolgten E-Strategien geeignet seien, dauerhaft Arbeitsplätze zu erhalten und den Umbau zu nachhaltiger Mobilität zu erreichen. Die zentrale Herausforderung für Gewerkschaften, betriebliche Akteure und linke Politik bestehe darin, den ökologischen Umbau der (Mobilitäts-)Produktion und die Sicherung von Beschäftigung zusammen zu bringen. Unter Bezugnahme auf die Studienergebnisse machte er deutlich, dass ein politisch gestalteter Umbau der Produktion sogar zu einer Überkompensierung der Arbeitsplatzverluste in der Automobilindustrie führen könne. Schlüssel für eine Nachhaltigkeitswende seien die kollektiven Mobilitätsträger Bus und Bahn. Gelinge es, die Fahrgastzahlen im ÖPNV und im Bahnverkehr zu verdoppeln bzw. um den Faktor 2,5 zu steigern, könnten hierdurch bis zu 314.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden.
Dieses Beschäftigungspotenzial wäre mit 450.000 Stellen noch deutlich größer, wenn eine Arbeitszeitreduktion als «kurze Vollzeit für alle» mit einer Wochenarbeitszeit, die um 30 Stunden kreist, umgesetzt würde. Durch einen sozial-ökologischen Umbau der Produktion könne die industrielle Basis sowohl eines neuen Wohlstandsmodells als auch der Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels geschaffen werden. Diese Transformation der industriellen Basis gelte es, gegen die Konzernspitzen zu erkämpfen. Notwendig hierfür sei es, dass ein strukturierter Austauschprozess zwischen den Beschäftigten in der Automobilindustrie und den Beschäftigten in der Produktion von Bussen und Bahnen geschaffen werde, dessen Aufgabe es sei, die Transformation bis zur betrieblichen Ebene im Interesse aller Beschäftigten zu gestalten. Gewerkschaften müssten stärker als bislang die Grenzen der eigenen Organisationen überbrückende Diskussionsforen etablieren. Hierdurch könne zum einen der notwendige Druck auf die Politik erzeugt werden, um ein Umsteuern durch diese zu erzwingen. Zum anderen sei es wichtig, das vorhanden Produzentenwissen überbetrieblich zu organisieren und sichtbar zu machen. Abwehr- und Gestaltungskämpfe bei den großen endfertigenden Betrieben und in der klein- und mittelständischen Zulieferindustrie gelte es, gemeinsam zu gestalten. Über die betriebliche und gewerkschaftliche Ebene hinaus, müsse daran gearbeitet werden, die Machtressourcen der verschiedenen Gewerkschaften mit den Akteuren aus der Zivilgesellschaft und der Politik zusammenzubringen. Gesamtgesellschaftlich sei es notwendig, die Konzerne durch staatliche Förderung zum Umbau ihres Geschäftsmodells zu bringen. Erweiterte Mitbestimmung und öffentliches Miteigentum seien für den Umbau ebenso unerlässlich wie regionale Transformationstäte zur Gestaltung des Wandels. Insgesamt müsste durch die Politik eine offensive Industrie- und Strukturpolitik mit einer Fokussierung auf die Stärkung öffentlichen Eigentums und öffentlicher Beteiligung forciert werden.
(Arbeitsplatz-)Entwicklung in Mobilitätsindustrien in Baden-Württemberg
Antje Blöcker, Mitglied der IG Metall und des Gesprächskreises Zukunft Auto Umwelt Mobilität (ZAUM) der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Expertin für Arbeitspolitik im Kontext globaler Wertschöpfungsketten sowie der Produktionssysteme der Automobilindustrie, stellte in ihrem Beitrag wesentliche Aspekte der (Arbeitsplatz-)Entwicklung der Mobilitätsindustrien in Baden-Württemberg vor[3]. Sie erinnerte an den historischen Vorlauf der aktuellen Diskussionen um eine Krise und Transformation der Automobilindustrie seit Ende der 1980er Jahre. Auch aktuell schillerten die Debatten in der Automobilregion Stuttgart zwischen Chance («Problemlöserregion») und Niedergang («Neckar-Detroit»). Die ökonomische Situation der großen Automobilkonzerne sei widersprüchlich. Zum einen sei die Beschäftigungssituation trotz aller Krisen konstant, die Gewinnmargen durch volle Auftragsbücher und die Nachfrage nach «immer größeren, immer schwereren» Modellen im Premiumsegment auch bei E-Automobilen hoch, so dass es schwer falle, für den Übergang zu anderen Mobilitätsformen und die Reduktion des motorisierten Individualverkehrs zu argumentieren. Zum anderen werden die E-Strategie in den Betrieben zunehmend hinterfragt. Vor dem Hintergrund der Ökobilanz der individualisierten E-Mobilität, mit dieser Umstellung einhergehender Beschäftigungsverluste sowie dem Problem mit dem Aufbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur werde die Nachhaltigkeit dieses Transformationspfads kritisch hinterfragt. Die Strategien der Konzerne blieben widersprüchlich: Die Schließung einzelner Werke, der Versuch, Profite aus bestehenden Produktionsmodelle «bis zum bitteren Ende» zu schlagen, die Verlagerung einzelner Fertigungsbereiche in «Niedrigkostenländer» sowie das Bestreben, die Produktion zu diversifizieren und zusätzliche Geschäftsfelder zu erschließen (Digitalisierung, Mobilitätsplattformen etc.) stünden nebeneinander. Mit Blick auf arbeitspolitische Herausforderungen bleibe unklar, wie sich die Konflikte im Arbeit-Kapital-Natur-Verhältnis in Zukunft politisch austarieren werden. Ein Mehr an Mitbestimmung sei dafür unverzichtbar. Obwohl zahlreiche Studien zu den Beschäftigungswirkungen zeigten, dass Qualifizierungen und vor allem alternative Arbeitsplätze in Zukunft notwendig sein werden, fehlten für eine zielorientierte Struktur-politik in besonders betroffenen Regionen noch viele praktische Schritte. Transformationsräte seien notwendig, um insbesondere für die Zulieferer gezielte Qualifizierungsmaßnahmen für bestimmte Beschäftigungs- und Berufsgruppen zu erarbeiten.
In zwei Arbeitsgruppen wurden im Anschluss an das «Wie» und das «Wohin» des Umbaus von Mobilität(sindustrien) gesprochen.
«Umbau wohin?» Mobilität und Nahverkehr
Andrej Cacilo, der für das Fraunhofer IAO die Studie «Mobiles Baden-Württemberg. Wege der Transformation zu einer nachhaltigen Mobilität»[4] mit erarbeitete, zog eine kritische Bilanz des seit 2014 Erreichten. Die im Szenario für eine «Neue Mobilitätskultur – kürzere Wege, flexible öffentliche Systeme» entwickelten Zielgrößen des Umbaus von Mobilität und Mobilitätsverhalten seien bislang nicht erreicht worden. Im Vergleich zum Referenzjahr 2014 sei es bis 2019 nur zu einem minimalen Rückgang bei der durch Privat-PKW realisierten Mobilität gekommen, der PKW-Bestand habe sogar zugenommen. Der Ausbau des Anteils öffentlicher Mobilität sei hinter dem Notwendigen zurückgeblieben und ausschließlich durch eine Zunahme des Fernverkehrs getrieben. Pro Person sei die die Nutzung des ÖPNV zwischen 2014 und 2019 rückläufig. Um dieser Entwicklung entgegen zu steuern, schlug er zum einen vor, verstärkt auf Innovationen, neue Geschäftsmodelle und die Einbeziehung weiterer Akteure in der Palette der Mobilitätsdienstleistungen zu setzen. Zum anderen seien zusätzliche Ressourcen für den Ausbau öffentlicher Mobilität dadurch zu decken, dass verstärkt Drittnutzer in die Finanzierung einbezogen würden, etwa Firmen durch die Finanzierung von Jobtickets und Anliegerinnen durch Erschließungsgebühren als Gegenleistung für die Wertsteigerung privaten Immobilien- und Firmenbesitzes. Wolfgang Höpfner, Betriebsrat bei der Stuttgarter Straßenbahnen AG, schloss hieran an und benannte fehlende finanzielle Mittel für den ÖPNV als zentrale Problem einer gelingenden Mobilitätswende. Es fehle an Mitteln zum Ausbau, die vom Bund zur Verfügung gestellten Regionalisierungsmittel seien unzureichend, die Kommunen nicht in der Lage aus eigenen Mitteln ausreichend zu finanzieren. Aufgrund der schlechten Bezahlung fehle es an ausreichend Personal auf allen Ebenen. Und es mangele an den notwendigen Fahrzeugen, die Zeitdauer zwischen der Ausschreibung eines Beschaffungsauftrages und der realisieren Beschaffung sei viel zu lang. Aufgrund des Abbaus von Produktionskapazitäten für Wagen- und Schieneninfrastruktur und der oligopolartigen Angebotsstruktur sei hier keine kurzfristige Abhilfe zu erwarten. Erschwerend komme hinzu, dass der ÖPNV in der Politik keine große Lobby habe: Verkehrspolitik werde von Autofahrern gemacht.
Andreas Müller, Tarifsekretär bei der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, konnte aus seiner Praxis bei der Deutschen Bahn bestätigen: «An allererster Stelle stehen die fehlenden Mittel.» Soziale und ökologische Aspekte würden in den Ausschreibungen kaum berücksichtigt. Die Anbindung kleinerer Gemeinden an den ÖPNV bleibe ein Problem, weil dieser von den Gemeinden selbst zusätzlich bezahlt werden müsste, wozu diese oftmals nicht in der Lage seien. Ein ausgedünntes Streckennetz gehe auf politische Entscheidungen seit den 1960er Jahren zurück. Zur Wiederbelebung stillgelegter Strecken fehlten finanzielle Mittel und Personal. Hier sei ein Umsteuern durch die Politik dringend notwendig. Wie der Betriebsrat Wolfgang Höpfner kam auch der Gewerkschafter Andreas Müller zu der Einschätzung, dass Themen der Verkehrswende in der anstehenden Tarifrunde keine wesentliche Rolle spielen werden. Im Mittelpunkt stünde angesichts der hohen gegenwärtigen Inflation die Forderung nach angemessenen Entgelterhöhungen. Sabine Leidig, ehem. MdB der Partei DIE LINKE, betonte die Bedeutung sozialer Bewegungen und deren Verbindung mit gewerkschaftlichen Kämpfen für eine sozial-ökologische Verkehrswende. Die besseren Argumente auf seiner Seite zu haben, sei nicht ausreichend. Der Kampf um eine Verkehrswende sei Teil von Klassenpolitik, die gegen festgefügte Profitinteressen und politischen Lobbyismus agieren müsse. Um erfolgreich zu sein, benötige es verbindende Kämpfe, die Arbeit an bewegungs- und organisationsübergreifenden Netzwerken sowie Persönlichkeiten, die diese Arbeit und Orientierung glaubwürdig vertreten. Notwendig seien positive Visionen und die Idee davon, wie die Verbindung zu etwas Gemeinsamen gelingen kann. Mut machende Ansätze für eine solche (Bewegungs-)Politik habe es gegeben, etwa die Proteste gegen die Internationale Automobilausstellung und die Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Umweltbewegung in der letzten Tarifrunde für den Nahverkehr. Mit dem von der Bundesregierung temporär eingeführten 9 Euro-Ticket habe sich ein Möglichkeitsfenster geöffnet, um gesellschaftliche Mehrheiten für die notwendige Verkehrswende zu mobilisieren. Hannes Rockenbauch, Fraktionsvorsitzender der sozial-ökologischen Fraktionsgemeinschaft Die FrAKTION im Stuttgarter Gemeinderat, beleuchtete die Erfordernisse der Verkehrswende aus Sicht der Kommunalpolitik und der Stadtplanung. Er verwies auf die Bedeutung der kommunalpolitischen Gestaltung der Verkehrswende. Vor Ort könne aufgezeigt werden, welche Lebensqualität die Menschen gewinnen, wenn weniger Autos, mehr Grün und mehr öffentlicher Raum das Stadtbild prägen. Kommunalpolitik müsse die Frage stellen, wie wir leben wollen und positive Gegenbilder zum Gegenwärtigen entwickeln. Um die Verkehrswende kommunal zu gestalten bedürfe es einer gemeinsamen Planung über Verwaltungsgrenzen hinweg, die an die Stelle der heute vorherrschenden konkurrenz- und wettbewerbsorientierten Politik trete. Für die Gestaltung lebenswerter Städte sei die Integration von Wohnen, Arbeiten und Leben ein Schlüsselprojekt.
«Umbau der Mobilitätsindustrien – wie geht das?»
Die zweite Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit der Frage, wie der Umbau der Mobilitätsindustrien gelinge könne und welche Schwierigkeiten es hierbei zu überwinden gelte. Zu Beginn berichteten drei Personalräte aus der Automobilindustrie von den gegenwärtigen Debatten in ihren Betrieben. Roland Schäfer, Betriebsrat bei Daimler in Untertürkheim, umriss zunächst, dass der Umbau der Produktion in seinem Betrieb eine lange Diskussion in seinem Betrieb habe. So habe es schon in den 1990er Jahren Diskussionen im Betriebsrat über die Notwendigkeit alternativer Antriebstechnologien gegeben. Diese seien 1998 in eine Betriebsvereinbarung zum Aufbau einer Brennstoffzellen-Produktion am Standort gemündet. Zu diesem Zeitpunkt zwar nur als Absichtserklärung für eine mögliche Produktion im Daimler-Aggregate Werk Untertürkheim, aber immerhin ein Einstieg in die Forderungsdebatte für zusätzliche Produkte. Die Diskussion über den Umbau der Produktion beschäftige den IG Metall Betriebsrat auch weiterhin sehr aktiv, wobei diese Diskussionen nicht regelmäßig in die Breite des Betriebes ausstrahle. Anders verhalte sich das, wenn es zu Mobilisierungen aufgrund konkreter Investitionsentscheidungen komme. Roland Schäfer verwies in diesem Kontext auf den «Heißen Sommer» 2017, in dem die Belegschaft eine Batterie-System-Montage durchsetzen konnte. Das Besondere an dieser Auseinandersetzung 2017 was, dass sich sehr große Teile der Belegschaft an den Aktionen beteiligten. Kolleginnen und Kollegen aus der Produktion ebenso, wie auch aus indirekten und technischen Angestelltenbereichen. Die Umstellung der Produktion bleibe jedoch ein fortdauerndes Thema, das leider auch Beschäftigte verschiedener Betriebe in Konkurrenz zu einander setzen würde, etwa wenn die Frage anstehe, ob neue Fertigungsstraßen bei Autozulieferern oder direkt bei Daimler etabliert würden. Der IG Metall Betriebsrat bei Daimler stünde hier im Interessenskonflikt, da er natürlich zunächst der Beschäftigungssicherung der eigenen Kolleg:innen verpflichtet sei, gleichzeitig aber auch für die Folgen von Beschäftigten in anderen Unternehmen sensibilisiert sei. Auch sei festzustellen, dass Mobilisierungen für einen Umbau der Produktion nicht notwendigerweise zu einem dauerhaften Bewusstseinswandel führen würden. Produktionsumbau, sprich Transformation, wird als Angst vor der Zukunft wahrgenommen und von Teilen Betriebsrates auch offen so benannt. So gebe es durchaus einen Teil der Belegschaft, die rechtspopulistischer Rhetorik folgen und am Verbrenner festhalten wollen würden. Der IGM-Betriebsrat vertrete demgegenüber einen «Blick über den Tellerrand», für den er kontinuierlich werben müsse.
Rolf Klotz, bis vor kurzem Betriebsratsvorsitzender bei Audi in Neckarsulm, warf zunächst einen Blick zurück: Bereits seit dem späten 19. Jahrhundert bestand in Neckarsulm ein Standort der Neckarsulmer Strickmaschinen Union (NSU). Der Schwerpunkte der Produktpalette habe sich über die Jahrzehnte zu Fahrrädern, Krafträdern und Automobilen verschoben. 1969 ging das Neckarsulmer Fahrzeugwerke in Audi auf. Angesichts dieser Firmenhistorie und der Entwicklungen der letzten Jahre sei es verwunderlich, dass es im Betrieb nicht mehr Diskussion um Produktdiversität gegeben habe. Veranstaltungen wie die Tagung und Impulse aus der Forschung könnten da den Blick weiten und helfen, Ängste zu nehmen – insbesondere seien die Berechnungen der Beschäftigungsvolumina alternativer Mobilitätskonzepte wenig bekannt. Zugleich werde bei der aktuellen Tagung auch deutlich, wie unterschiedlich die Diskussion zwischen großen Teile der Wissenschaft und vieler Klimaschutzverbände im Vergleich zu Beschäftigten der Automobilindustrie sei. Wo erstere eine sehr grundsätzliche Mobilitätswende im Blick hätten, diskutierten letztere zu großen Teilen über die Veränderung der Antriebsart. Rolf Klotz beschrieb eindrücklich wie Betriebsräte unter großer Belastung stünden. Ständig sei man damit beschäftigt, mehr oder weniger akute Bedrohungen abzuwenden – Zeit, eigenständige Ideen jenseits der vorgegebenen Management-Strategie zu entwickeln fehle völlig. Gleichzeitig betonte er, dass die Notwendigkeit des Umbaus der Produktion nicht nur eine Frage einzelner Standorte oder Unternehmen sei, sondern auch eine starke internationale Dimension habe, sowohl was Beschäftigung in anderen Ländern anbelange, als auch und insbesondere die Folgen der Klimakatastrophe.
Ljiljana Culjak, Betriebsrätin bei Mahle-Behr, repräsentierte die Perspektive der Automobilzuliefererindustrie, die im gegenwärtigen Umbruchsprozess unter besonderem Druck steht. Entsprechend bestehe hier auch ein großes Risiko, dass Teile der Belegschaft aufgrund von Zukunftssorgen der radikalen Rechten zugetrieben würden. Umso wichtiger sei es, die Sorgen der Beschäftigten ernst zu nehmen und breite Bündnisse für den Umbau der Produktion zu organisieren. Betriebsrät:innen komme hierbei nicht nur aufgrund ihres demokratischen Mandats eine besondere Bedeutung zu: aufgrund häufiger Management-Wechsel in den Betrieben fühlten sich die Betriebsratsmitglieder häufig auch wie hauseigene Unternehmensberatungen, weil sie wegen ihrer größeren Beständigkeit wieder und wieder ihr Gegenüber über vergangene Debatten im Betrieb in Kenntnis setzen müssten. Das große institutionelle Wissen der Betriebsratsgremien sei entsprechend unverzichtbar für ein Gelingen des Umbaus der Produktion, gerade in Abgrenzung zu dem Zickzack des Firmenmanagements.
Nisha Toussaint-Teachout, aktiv bei Fridays for Future Stuttgart, befasste sich daran anschließend mit der Frage, wie und warum die Machtressourcen von Klimabewegung und Gewerkschaften gebündelt werden könnten und sollten. Sie warnte davor, sich in Belegschaften auf der einen und Klimaschützer:innen auf der anderen Seite spalten zu lassen. Die Klimabewegung stünde für Klimagerechtigkeit, was auch bedeute, dass die Beschäftigten nicht die Hauptlast der Transformation tragen sollten; theoretisch herrsche großes Verständnis für die schwierige Situation der Beschäftigten und Betriebsräte in der Automobilindustrie vor. Es fehle aber an gemeinsamen Erfahrungen – entsprechend sollten Themen identifiziert werden, für die man gemeinsam kämpfen könne. Diese könnten etwa die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Umgestaltung der Wirtschaft unter den Bedingungen der Beschäftigten sein, oder aber prominente Einzelforderungen, etwa nach Arbeitszeitverkürzungen. Zentral sei es, «common ground» zu finden, also eine gemeinsame Arbeitsgrundlage. Bernhard Knierim von Bahn für alle lieferte Argumente, dass es durchaus materielle Gründe gebe, die für eine solche Zusammenarbeit sprechen würden. Am Beispiel der Schienenfahrzeugindustrie illustrierte er, dass hier das Beschäftigungspotential hoch und die Entwicklungsperspektive positiv sei. Eine massive Ausweitung des ÖPNV könnte in dieser Branche eine Verdoppelung der Beschäftigtenzahlen bewirken. Bereits heute sind ca. 200.000 Personen in der Bahnindustrie (inkl. Zulieferbetriebe) beschäftigt, was etwa einem Viertel der Beschäftigten in der Automobilindustrie entspricht. In der Branche herrsche bereits starker Fachkräftemangel – Kolleg:innen aus der Automobilfertigung seien also mehr als willkommen, in der Lausitz würden derzeit auch Mechatroniker:innen aus der Kohleindustrie für die Schienenfahrzeugproduktion umgeschult. Anschließend an das Eingangsreferat von Mario Candeias hob er die objektive Möglichkeit einer Verkehrswende im Interesse der Beschäftigten hervor.
Materialien zur Tagung
- Klaus Dörre: Klimakrise, Mobilitätswende & Wirtschaftsdemokratie
- Antje Blöcker: (Arbeitzsplatz-)Entwicklung in Mobilitätsindustrien in Baden-Württemberg
- Andrej Cacilo: Wege der Transformation zu einer nachhaltigen Mobilität
- Joachim Beerhorst: Demokratisierung der Wirtschaft - Aktualität eines strategischen Konzepts
- Bernd Riexinger: Thesen zur Bildung eines regionalen Transformationsrates
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die BetriebsrätInnen der Wunsch vereint, dass die IG Metall stärker noch Raum für strategische Debatten eröffnen und in der Bildungsarbeit den Umbau der Produktion zum Thema machen solle. So könne auch ein notwendiger Raum für den Austausch mit anderen Teilen der Zivilgesellschaft, beispielsweise der Klimabewegung, geschaffen werde. Dieser wurde auch seitens der anwesenden Klima-Aktivist:innen explizit gewünscht.
«Umbau mit wem?» - Regionale Transformationsräte als Projekt
Die Abschlussdiskussion widmete sich der Frage nach einer gemeinsamen Perspektive für Umbauprojekte vor Ort und diskutierte wie Konzepte von Wirtschaftsdemokratie hierfür nutzbar gemacht werden könne. Zentrales Ziel war es, einen Prozess zur Gründung eines regionalen Transformationsrates für die Region Stuttgart zu beginnen. Zunächst stellte Joachim Beerhorst, Dozent an der Europäischen Akademie der Arbeit und ehemaliger Leiter Abteilung Aus- und Weiterbildung für Hauptamtliche beim Vorstand der IG Metall, verschiedene historische und gegenwärtige wirtschaftsdemokratische Projekte vor. Gemeinsam sei diesen, dass sie nicht bei der Perspektive einer Produzentendemokratie stehen blieben (Einschränkung des Dispositionsrechts des Kapitals über lebendige Arbeit durch Gesetze, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen etc.), sondern gleichzeitig die Interessen der übrigen Produzenten und der Konsumenten berücksichtigten. Diese Perspektive sei erstmals ausführlich formuliert worden, in den Grundsätzen zur Wirtschaftsdemokratie des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes ADGB im Jahr 1925. Dort findet sich ein Konzept dafür, wie Selbstverwaltungskörperschaften aus Unternehmern, Arbeitervertretern und Verbrauchern zur Steuerung der Produktion zusammenwirken. Auch in den Wirtschaftspolitischen Grundsätzen des DGB aus dem Jahr 1949 finden sich neben der Forderung nach Mitbestimmung im Betrieb Gemeineigentum und volkswirtschaftliche Rahmenplanung als weitere Erfordernisse einer demokratischen Wirtschaft. Abgeschwächt finde sich diese Idee selbst noch im DGB-Grundsatzprogramm von 1996, wenn dort proklamiert wird, den Gewerkschaften gehe es darum, mitzuwirken bei «Entscheidungen der Gesellschaft, wie sie leben, arbeiten und wirtschaften will.» Ein weitreichender Ansatz zur sozialverträglichen Bewältigung der europäischen Stahlkrise in den Neunzehnhundertachtzigerjahren war das «Stahlpolitische Programm» der IG Metall von 1985, mit dem durch Sozialisierung, koordinierte dezentrale und zentrale Entscheidungsstrukturen sowie Mengen- und Preisregulierung das Privatkapital um seine Dominanz gebracht und demokratische politische Steuerung anstelle der verwertungsorientierten Marktprozesse treten sollte. Auch im Bundestag hätten Konzepte zur Verbindung von Produzenten- und gesellschaftlichen Interessen bereits eine Rolle gespielt. Die GRÜNEN hätten dort 1988 ein «Modell für eine überparitätische Mitbestimmung» eingebracht, das neben der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite eine «dritte Bank» für Umwelt- und Verbraucherinteressen vorgesehen habe. Als einen aktuellen Versuch, Produktion an sozialen Interessen auszurichten nannte Beerhorst ein gemeinsam von IG Metall und BUND getragenes Projekt in der Region Schweinfurt/Main-Rhön zur Gestaltung nachhaltiger und umweltfreundlicher Mobilität. Der Ansatz hier sei es, Produzenten- und gesellschaftlichen Interessen, Produzenten- und gesellschaftliches Wissen zusammenzubringen zur Beantwortung der Fragen, welche Produkte hergestellt, wie der Produktionsprozess gestaltet und welcher Beitrag für die Lebensqualität der Menschen durch die Produktion geleistet werde.
Bernd Riexinger, Stuttgarter Bundestagsabgeordneter der LINKEN, stellte «Thesen zur Bildung eines regionalen Transformationsrates» vor und warb dafür, sich gemeinsam auf den Weg zu dessen Bildung zu begeben. Die Klimakrise zwinge die Industrie, dabei vor allem die Automobilindustrie mit allen Zulieferern zu einer gewaltigen Transformation. Diese Transformation gelte es in einem umfassenden Sinne zu gestalten. Eine Änderung der Antriebsformen greife zu kurz. Vielmehr sei ein grundlegender sozialökologischer Systemwechsel notwendig, als Voraussetzung für eine andere Wirtschafts- und Lebensweise. Eine solch umfassende Transformation sei nur möglich, wenn die Wirtschaft in umfassenden Maße demokratisiert und die bestehenden Eigentumsverhältnisse geändert würden. Neben die Produktkonversion und die Demokratisierung auf betrieblicher Ebene müsse, diese begleitend und rahmend, eine bundesweite demokratische Rahmenplanung mit klaren Vorgaben für den sozialökologischen Umbau treten. Ein wesentliches Element dieser Steuerung, das die demokratisch-parlamentarische Arena ergänzen müsse, seien Wirtschafts- und Sozialräten auf allen regionalen Ebenen. Die aus der Arbeiterbewegung entspringenden Vorstellung von Wirtschafts- und Sozialräten, die in erster Linie die Vertreterinnen der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der öffentlichen Hand im Blick hatte, müsse dabei erweitert werden um weitere gesellschaftliche Akteure, wie Vertreter:innen von Klimaschutzbewegung, Umwelt- und Verbraucherverbände, Sozialverbände, Wissenschaft und Kultur. Von der Tagung solle der Impuls ausgehen zur Gründung eines Transformationsrats für die Region mittlerer Neckarraum. Alle Interessierten können sich melden bawue@rosalux.org. Dieser Rat solle eigene Vorschläge für einen alternativen Pfad der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung entwickeln, in dem sowohl die Beschäftigteninteressen nach guter Arbeit und auskömmlichen Löhnen, wie die nachhaltige Sicherung unser natürlichen Lebensgrundlagen und die Verhinderung der drohenden Klimakatastrophe miteinander verbunden werden. Ein solcher Transformationsrat von unten könnte als erster Schritt die Interessen und Vorstellungen der verschiedenen Akteure, Gruppen und Organisationen erfragen, sammeln, bündeln und zur Grundlage einer transparenten Diskussion machen. Daraus könnte dann in einem weiteren Schritt ein Zukunftskonzept für die Transformation in der Region erarbeitet und entwickelt werden. Je transparenter dieser Prozess organisiert werde und je mehr Akteure gefragt und einbezogen werden, umso besser gelingt eine wahrnehmbare politische Einmischung. Die Bildung eines alternativen Transformationsrates wäre sicherlich ein Experiment, jedoch eines, mit dessen Hilfe der von Wirtschaft und Staat vorgesehene Transformationsprozess als einzig vorstellbarer Weg in Frage gestellt wird und in einem gelebten demokratischen Raum der Zwangsläufigkeit der kapitalistischen Logik Alternativen entgegengesetzt werden. Eine Chance, die nicht ungenutzt gelassen werden sollte.
Kai Burmeister, Vorsitzender des DGB Baden-Württemberg, verwies in seinem Kommentar darauf, dass er die Initiative zur Gründung eines Transformationsrates positiv wahrnehme. Dabei gelte es für Gewerkschaften und DGB jedoch, auch in den bestehenden institutionellen Formen der Zusammenarbeit von Staat, Unternehmen und Gewerkschaften im Transformationsprozess aktiv zu sein. Es gelte diese existierenden Formen zu nutzen, um gewerkschaftliche und gesellschaftliche Ziele zu stärken. Diese Strukturen, wie die „konzertierte Aktion Mobilität“ auf Bundesebene, der „Strategiedialog Automobilwirtschaft“ in Baden-Württemberg, der baden-württembergische „Transformationsbeirat“ oder der Transformationsfonds der Automobilindustrie zur Finanzierung regionaler Transformationsprojekte seien wichtige Felder der gewerkschaftlichen Gestaltung und Interessenvertretung der Beschäftigten. Der im Rahmen der Tagung skizzierte Transformationsrat könne jedoch ein wichtiger Baustein sein, in dem Gegenmacht organisiert und weitergehende Forderung formuliert und vorangetrieben werden könnten. Es kommt gewerkschaftlich auf das Wechselspiel von bestehenden Institutionen und Initiativen von unten an. Jobst Kraus, Mitinitiator der Studie «Mobiles Baden-Württemberg»[5], einer der Sprecher der Mobilitätswende-Allianz Baden-Württemberg[6] und bis vor kurzem Nachhaltigkeitsbeauftragter des BUND Baden-Württemberg, betonte, dass für den Erfolg eines regionaler Transformationsrats dessen lokale und betriebliche Verankerung wichtig sei. Ein sehr breites (zivil)gesellschaftliches Bündnis aus dem sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich sei aus seiner Sicht entscheidend. Neben der Suche nach neuen beschäftigungsrelevanten Schwerpunkten in der Mobilitätswirtschaft (Kreislaufwirtschaft, Mobilitätsdienstleistungen, etc.) und in den Bereichen eines nachhaltigen Infrastrukturumbaus (Stadt und Dorf der kurzen Wege) sollte auch die Einsparung und Umwidmung von Flächen ein wichtiges Thema für einen regionalen Transformationsrat sein. Andreas Müller von der EVG begrüßte die Gründung eines Transformationsrats als einen Ort, jenseits etablierter Dialogformate zwischen Landesregierung und Sozialpartnern die Perspektive von Klimabewegung, Belegschaften und ihren gewerkschaftlichen Interessensvertretungen und der weiteren Zivilgesellschaft zusammenzuführen und gesellschaftliche Bündnisse zu ermöglichen.
Wir laden ein zur Gründung eines Transformationsrats für die Region mittlerer Neckarraum. Alle an der Mitarbeit Interessierten können sich melden unter bawue@rosalux.org.
[1] Vgl. hierzu auch die Broschüre «´Mein Pronomen ist Busfahrerin`. Die gemeinsame Kampagne von FFF und Ver.di zur Tarifrunde im öffentlichen Nahverkehr 2020» der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
[2] Vgl. hierzu: «Und was ist jetzt mit meinem Job? Eine gerechte Mobilitätswende und alternative Produktion» sowie Mario Candeias/Stefan Krull (Hrsg.): Spurwechsel. Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotenzialen und alternativer Produktion (VSA Verlag, 2022). Kostenfreier Download hier.
[3] Vgl. Antje Blöcker: Die Automobilindustrie: Es geht um mehr als den Antrieb. Eine Studie im Rahmen des Projekts «Sozial-ökologische Transformation der deutschen Industrie».